Antje Schrupp im Netz

Von sich selbst ausgehen. Positionen des italienischen Differenzfeminismus

In: Widerspruch 69, 36. Jg, 2017

Die Rede vom „Subjekt Frau“ als Agentin des Feminismus war von Anfang an problematisch. Denn weder lassen sich für Frauen qua Frausein gemeinsame Interessen umreißen, noch ist zweifelsfrei klar, was eine „Frau“ eigentlich ist. „Bin ich etwa keine Frau?“ war nicht zufällig die zentrale Frage in der kurzen Rede von Sojourner Truth beim Kongress der US-amerikanischen Frauenbewegung 1851 in Akron, Ohio , in dem sie darauf hinwies, dass die meisten Argumente, die dort für und gegen Frauenemanzipation diskutiert wurden – zum Beispiel dass Frauen als das „schwache Geschlecht“ die Hilfe von Männern benötigten und bekämen – für sie, eine Schwarze Frau, nicht zutraf.

Die Frauenbewegung lässt sich als soziale Bewegung nicht als Interessensvertretung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe verstehen, etwa analog zur Arbeiterbewegung, weil Frauen keine eigene gesellschaftliche Gruppe bilden. Frauen sind vielmehr in sämtlichen Bevölkerungsgruppen zu finden, in allen Klassen, Communities, Ethnien, Religionen, Regionen und so weiter. Die allermeisten Frauen definieren sich nicht in erster Linie über die Zugehörigkeit zu ihrem Geschlecht; ihre stärkeren Loyalitäten liegen in der Regel woanders. Dass die weißen Frauen in den USA bei den Präsidentschaftswahlen im November 2016 mehrheitlich für Donald Trump stimmten, trotz dessen frauenfeindlichen Positionen, ist daher nicht so verwunderlich, wie viele meinten.

Solidarität unter Frauen ist möglich, aber sie muss politisch definiert und hergestellt werden, sie ergibt sich nicht von selbst. Spätestens seit Judith Butlers Buch „Gender Trouble“ von 1990 ist außerdem in Zweifel geraten, was eine Frau überhaupt ist. Zwar finden sich ähnliche Gedankengänge ebenfalls schon früher, etwa in Monique Wittigs Diktum von 1978, dass Lesben keine Frauen seien. Doch mit Butler ist die Vorstellung hinzu gekommen, dass Frausein nicht nur als sozialer, sondern auch als biologischer Fakt dekonstruierbar und entsprechend unsicher sei.

Dass die Uneindeutigkeit des politischen Subjekts „Frau“ Fragen für eine soziale Bewegung aufwirft, die sich als „Feminismus“ begrifflich wie inhaltlich auf das Frausein bezieht, ist offensichtlich. Nachdem Feministinnen früher, vor allem diejenigen aus weißen, bürgerlichen Milieus, oft selbstverständlich das eigene Sein mit dem Frausein generell gleichsetzten und sich in ihrem Aktivismus immer wieder auf eine ominöse „Weiblichkeit“ beriefen, deren Existenz ihnen evident zu sein schien, sind ihre späteren dekonstruktivistischen Kritikerinnen den entgegengesetzten Weg gegangen und haben häufig sogar vermieden, Worte wie „Frau“ oder „Weiblichkeit“ überhaupt noch zu verwenden, oder wenn, dann nur mit zahlreichen einschränkenden Relativierungen. Der damit einhergehende Verlust an politischer Schlagkraft ist allerdings ebenfalls evident.

Dass es sich bei Kategorien für soziale Identitäten nicht um logische Definitionen oder wissenschaftliche Schlussfolgerungen handelt, sondern um politische Positionierungen, Zuschreibungen und Aneignungen, darauf haben vor allem postkoloniale Denkerinnen hingewiesen. So prägte Gayatri Spivak den Begriff des “strategischen Essenzialismus”. Die gemeinte politische „Identität“ in Bezug auf ihr Selbstbewusstsein und die Selbstpositionierung als Zugehörige etwa der Schwarzen oder der Latino-Gemeinschaft bedeutet nicht dasselbe wie der philosophische Begriff der Identität, nämlich vollständige exakte Gleichheit. Wie Linda Alcoff in ihrem viel beachteten Text „Who’s Afraid of Identity Politics“ deutlich machte, ist beim politischen Alltagsgebrauch des Begriffs „Identität“ in der Regel klar, dass es auch unter den Mitgliedern der jeweiligen Gruppe zahlreiche Unterschiede und Differenzen gibt. Eine politische Identität ist nichts Fixes, sondern jederzeit veränderbar, es handelt sich immer um ein Wechselspiel von Fremdzuschreibungen und Selbstaneignungen, die permanent im Fluss bleiben. Und die Akteur_innen wissen das normalerweise.

Der Verweis auf die Notwendigkeit einer Schwarzen Identitätspolitik etwa speist sich niemals daraus, „die Natur“ verstehen zu wollen, sondern immer aus bestimmten jeweils aktuell politischen Anliegen, etwa der Kritik an Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, an Racial Profiling, oder aus einem positiven Bezug auf eigene Praxen wie etwa spezifische Vorstellungen von Mutterschaft (vgl. zum Beispiel Akilah S. Richards: »Affirming the Value of Black Motherhood – A Peronal Essay« in dem Sammelband »O Mother, Wherer Art Thou?«.

Eine solche Herangehensweise, nämlich die eigene Identität zu vergemeinschaften aufgrund von inhaltlichen Beschreibungen eines historischen Arrangements, ist selbstverständlich auch in Bezug auf weibliche Identitäten möglich und häufig versucht worden. Der staatliche Gleichheitsfeminismus der 1980er und 1990er Jahre etwa ist diesen Weg gegangen: Rund um so genannte „Fraueninteressen“ sind „Frauenförderpläne“ und „Gleichstellungsstellen“ eingerichtet worden, um die identifizierten Defizite und Benachteiligungen zu beheben. Unbeeindruckt davon, dass im Bereich der Universitäten sich das Frausein im Vagen und Dekonstruierten praktisch auflöste, erlebte die Kategorie „Geschlecht“ also im Bereich des Politischen eine zunehmende Beachtung, mit positiven wie negativen Implikationen. Im Bereich der Alltagskultur bildete sich eine Hellblau-Rosa-Welt des Gendermarketings heraus, die es in dieser Klischeehaftigkeit zuvor nicht gegeben hatte. Werden etwa die negativen Aspekte von Identitätspolitik, die im Bereich postkolonialer und antirassistischer Bewegungen angesichts der großen strategischen Vorteile, die damit für eine freiheitliche Politik verbunden sind, verkraftbar sind, in Bezug auf die Geschlechterdifferenz zu Monstern?

Es scheint jedenfalls so, als sei die Gefahr einer Stereotypisierung bei der Bildung einer Identitätskategorie namens „Frau“ weitaus größer als bei der Bezugnahme auf andere soziale Differenzen. Daher lassen sich postkoloniale Begründungen für die Notwendigkeit von Identitätspolitik nicht ohne weiteres auf feministische Belange übertragen. Zumal die Geschlechterdifferenz, so konstruiert sie auch sein mag, gleichwohl einen realen, biologischen Anlass hat, nämlich die Tatsache, dass aufgrund ihrer körperlichen Verfasstheit nur etwa die Hälfte der Menschen schwanger werden kann und die andere Hälfte nicht. Entlang von „Rassenunterschieden“ hingegen existieren keine substanziellen Unterschiede dieser Art, „Rasse“ ist eine ganz und gar willkürliche, erfundene Kategorie. „Schwarzsein“ muss deshalb auf jeden Fall inhaltlich konkretisiert werden, wenn es eine Bedeutung haben soll – „Frausein“ aber nicht. Wie können wir also das Frausein denken und politisch wirksam werden lassen, ohne es mit inhaltlichen Zuschreibungen und Definitionen zu belasten?

Eine Möglichkeit dazu bietet die politische Praxis des „Affidamento“, die italienische Feministinnen rund um den Mailänder Frauenbuchladen Ende der 1980er Jahre entwickelt haben. In ihrem 1987 erschienenen Buch „Non credere di avere dei diritti“ (auf Deutsch: „Wie weibliche Freiheit entsteht“) setzen sie sich als 38-köpfiges Autorinnenkollektiv erzählend und analysierend mit ihren Erfahrungen in der Frauenbewegung auseinander. Ihre Absicht war dabei freilich nicht, das Dilemma der fraglich gewordenen weiblichen Identitätspolitik zu lösen, denn zur Entstehungszeit des Buches war die Existenz von Frauen und Weiblichkeit noch weitgehend unbestritten. Ihr Thema war vielmehr ein grundsätzliches Unbehagen an der damaligen Forderungs- und Gleichstellungspolitik, die ein Großteil der Frauenbewegung verfolgte und die die Freiheit der Frauen in der Gewährung von Rechten, Antidiskriminierungsmaßnahmen, Förderplänen oder Quoten verankerte.

Als Gegenentwurf zur Gleichstellungspolitik entwickelten die Italienerinnen einen „Feminismus der Differenz“ mit folgender Kernthese: Nicht in ihrer Gleichstellung mit den Männern, nicht durch den Kampf um Anerkennung im Rahmen einer männlichen – also von Männern für ihresgleichen und ihre Bedürfnisse geschaffenen – symbolischen Ordnung verwirklicht sich weibliche Freiheit. Sondern weibliche Freiheit entsteht, indem Frauen bedeutungsvolle Beziehungen untereinander aufbauen und pflegen, indem sie sich durch politisches Handeln und offene Debatten eigene Maßstäbe, Spielräume und Orientierungsrahmen schaffen. Die Grundlage dafür ist, dass Frauen sich mit ihren Wünschen, Hoffnungen und Plänen nicht männlichen Autoritäten anvertrauen (Italienisch: „affidare“), sondern anderen Frauen. Auf diese Weise können sie die Welt ihren eigenen Vorstellungen gemäß umgestalten, also frei werden, ohne sich männlichen Normen und Gegebenheiten anpassen zu müssen.

Im deutschsprachigen Raum ist diese politische Praxis unter dem Stichwort „Affidamento“ bekannt geworden, was allerdings nur daran liegt, dass in der deutschen Fassung des Buches das eigentlich gewöhnliche italienische Alltagswort „affidamento“ unübersetzt blieb und damit zu einem Label werden konnte. Zu Beginn fiel die „Politik des Affidamento“ auch im deutschsprachigen Raum auf sehr fruchtbaren Boden, es gab nach Erscheinen des Buches viele Vorträge, bei denen Aktivistinnen aus Mailand ihre Vorschläge zur Diskussion stellten und erläuterten. Doch im Schatten der deutschsprachigen Butler-Rezeption, die selten die komplexe Argumentation von „Gender Trouble“ wirklich rezipierte, sondern vor allem in den Anfangsjahren sich ganz auf das revolutionär klingende Diktum vom biologischen Geschlecht als Konstrukt kaprizierte, ließ das Interesse an der Politik der Italienerinnen nach. Wie weibliche Freiheit entsteht erschien plötzlich uninteressant, wo doch das ganze Konzept von „Geschlecht“ generell für obsolet erklärt werden konnte. Genau an diesem Punkt einer allgemeinen Euphorie über die Aussicht, das lästige Thema „Geschlecht“ durch dessen gänzliche Abschaffung (oder zumindest in Aussicht gestellt Irrelevanz) loswerden zu können, verbündeten sich im Übrigen in den 1990er Jahren der akademische Diskurs und der politisch-alltägliche Gleichheitsfeminismus: Dass „Differenzfeminismus“ rückwärtsgewandt, überholt und essenzialistisch sei, behaupten nun sowohl die Akademikerinnen in ihren Butler-Kommentaren als auch Alice Schwarzer in der Emma. Da die Italienerinnen, die ja vom deutschen Feminismusdiskurs nicht viel mitbekamen, sich in ihren Texten weiterhin als „Differenzfeministinnen“ positionierten, wurden sie, von einigen allerdings wichtigen Ausnahmen wie den Arbeiten von Andrea Günter abgesehen, im deutschsprachigen akademischen Diskurs bald gar nicht mehr rezipiert.

Allerdings bezog sich die „Differenz“, von der im italienischen Feminismus die Rede ist, schon bald nicht mehr in erster Linie auf die Differenz zwischen Frauen und Männern, sondern vor allem auf die Differenz zwischen Frauen untereinander. Ausgehend von der Praxis der Affidamento-Beziehungen ergab sich nämlich die Notwendigkeit, mit den Unterschieden zwischen Frauen umzugehen. Unterschieden, die häufig eben auch konfliktreich waren. Daraus entstanden umfangreiche Überlegungen zum Wechselspiel von Autorität und Begehren, zu der Frage von Originalität und Konformismus, Gruppenstrukturen, Repräsentation und so weiter. Nicht die Gleichheit, sondern die Differenz unter Frauen, das wird den Italienerinnen durch ihre Debatten und Erfahrungen immer deutlicher, machen die Stärke der Frauenbewegung aus, bilden das Zentrum des Feminismus. Politische Wirksamkeit anzustreben bedeutet also nicht, eine weibliche „Identität“ zu befördern, sondern im Gegenteil die weibliche Differenz zu bearbeten, die Nicht-Gleichheit der Frauen ins Zentrum zu stellen. Dies ist das genaue Gegenteil von Essenzialismus, denn Frausein ist nun endgültig nichts mehr, was inhaltlich bestimmbar wäre. Frausein kann nicht definiert, kategorisiert, gezähmt und verstanden werden. Sondern Frausein ist letztlich nichts anders als eine politische Tatsache, die sich exakt in dem Moment als Evidenz in der Welt zeigt, wo eine Person von sich sagt: „Ich bin eine Frau.“ Frausein ist nicht losgelöst zu verstehen von den Frauen, die mit ihrer Präsenz in Fleisch und Blut dafür einstehen, dass es „Frauen“ gibt – sie selbst sind nämlich welche. Indem sie selbst ihr Frausein und das anderer Frauen für bedeutsam halten, entwickelt „Frausein“ in der Welt Wirksamkeit, ohne dass es nötig ist, inhaltlich zu bestimmen, was Frausein sei.

Luisa Muraro hat dafür in einem gleichnamigen Aufsatz von die Formulierung gefunden: „Von sich selbst ausgehen und sich nicht finden lassen“ (in: Diotima: Die Welt zur Welt bringen, Ulrike Helmer Verlag, Königstein 1999, S. 18-37). Damit bringt sie die beiden Aspekte zusammen, nämlich das „Ich“ und das „Frausein“, die Subjektivität und die Objektivität, die Selbstwahrnehmung und die Zuschreibung, die Einzigartigkeit und das Kollektiv. Freiheitliche feministische Politik, so die Italienerinnen, besteht gerade nicht darin, das Frausein – das wir als soziale Tatsache in der Welt vorfinden, die meisten von uns ohne dass wir uns das ausgesucht hätten – zu dekonstruieren und zu verflüssigen. Sondern darin, es zum Ausgangspunkt unseres politischen und persönlichen Handelns zu nehmen, bei dem wir aber natürlich nicht stehen bleiben, sondern den wir verlassen, indem wir dorthin gehen, wo wir zu sein wünschen, ohne uns dabei „finden zu lassen“, also ohne unsere Wünsche und Entscheidungen am Konventionellen, Erwartbaren, Vorgegebenen auszurichten. Auf diese Weise ist verändern freie Frauen die Welt. Muraro schreibt:

„Die Praxis des Von-sich-selbst-Ausgehens ist eine Dekonstruktion des Ichs und der Welt. … Die Praxis des Von-sich-selbst-Ausgehens führt zu einer Auflösung des Subjekts, ohne dass es dabei in eine Unzahl unzusammenhängender Instanzen zerlegt wird. Diese Praxis zerlegt mich in die Beziehungen, die mich die sein lassen, die ich bin, und die mich die werden lassen, die ich werden möchte, ohne dass ich mich jemals im Zentrum dieses Seins und Werdens niederlassen kann. Dies ist die enge Pforte, der Durchgang, durch den ich mich vom Nihilismus des postmodernen Denkens „freispiele“. Bildlich ausgedrückt heißt das: Der typische Dekonstruktionist gleicht einem Menschen, der den Ast absägt, auf dem er gerade sitzt. Gewöhnlich handelt es sich um einen Universitätsprofessor, der, nachdem er sich den Ast abgesägt hat, „gut“ fällt, nämlich in die wirtschaftliche Sicherheit und die Vorteile seiner Rolle. Die Praxis des Von-sich-selbst-Ausgehens ist als Handlung nicht weniger radikal, aber auf der persönlichen Ebene ist sie wesentlich risikoreicher. Und sie ist fruchtbarer und glücklicher, denn sie lässt mich in die Notwendigkeit der Dankbarkeit und den Vorrang der Beziehungen fallen.“

Das Potenzial dieses italienischen Anstoßes für eine feministische Theorie und Praxis, die das Frausein zum Hebel für eine freiheitliche und eben nicht identitätspolitische Haltung nimmt, hat vor einigen Jahren Linda Zerilli wieder entdeckt, und über die deutsche Übersetzung ihres 2005 in den USA erschienenen Buches „Feminismus und der Abgrund der Freiheit“ ist der italienische Differenzfeminismus nun auch wieder in die deutschsprachige Debatte zurück gekehrt. Auf die Frage, wie Frausein einerseits eine politische Kategorie sein kann, wenn doch andererseits bestritten werden muss oder soll, dass Frausein überhaupt ein reales Kriterium ist, antwortet Zerilli im Anschluss an Hannah Arendt (auf die sich auch die Italienerinnen oft beziehen): Es gehe nicht darum, „was“ eine Frau ist, sondern darum, „wer“ sie ist, also um ein politisches Urteil, das darin besteht, dem eigenen Frausein eine Bedeutung zu geben. Anders als die Italienerinnen, auf deren spätere Arbeiten sie allerdings nicht Bezug nimmt , plädiert Zerilli trotz aller Einwände dafür, dass Frauen im Sinne ihrer politischen Schlagkraft „im Namen der Frauen“ generell sprechen sollen. Sie schreibt:

„Im Hinblick auf den Feminismus wollen wir also nicht wissen, ob die Frauen/die Frau (etwa in Form einer durch gemeinsame Erfahrung verbundenen sozialen Gruppe) existieren, sondern was die Frauen/die Frau für diejenigen bedeutet, die beanspruchen, in diesem Namen politisch zu sprechen. Durch ein solches Sprechen kann eine Norm entweder weiter sedimentiert, oder aber transformiert werden. Ob ein im Namen „der Frauen“ Sprechen eine vorgängige Definition von „Frauen“ zementiert oder sie für Diskussion, Kritik und phantasievolle Umgestaltung öffnet, können feministische politische Akteurinnen vor diesem Sprechen einfach nicht wissen. Wenn wir uns dazu entscheiden sollten, ein „unbestimmtes Urteil“ über die Frauen/die Frau zu formulieren, so liegt dies nicht daran, dass die Kategorie als undefinierbar geschützt oder von der öffentlichen Debatte ausgeschlossen wäre, weil sie kein legitimes Objekt des Wissens darstellte. … In der Politik geht es vielmehr um Forderungen und Urteile – und den Mut, sie zu stellen, bzw. zu fällen -, die nicht durch objektive Kriterien oder Regeln abgesichert sind. Sie können sich also weder auf ein objektives Wissen berufen noch garantieren, dass ein solches Sprechen im Namen der Frauen von anderen aufgenommen oder aufgegriffen wird.“

Den hier beschriebenen Vorgang – dass also eine Frau etwas sagt, das nicht beweisbar oder objektiv wahr ist, sondern dessen Wirksamkeit gerade davon abhängt, ob andere es aufgreifen und dem zustimmen – haben die italienischen Differenzfeministinnen allerdings gerade nicht im Sinne einer Politik der Repräsentation aufgegriffen, sondern im Sinne einer Politik der weiblichen Autorität. Mit Autorität spricht eine Frau nicht, indem sie „im Namen“ anderer Frauen spricht, sondern indem sie den Mut hat, originell und unkonventionell zu sein, Neues zu erschließen, indem sie also Souveränin ist, und gerade nicht Repräsentantin. Nur auf diese Weise, indem sie sich abhebt und nicht gleich ist, kann sie zum Vorbild und zur Inspiration für andere Frauen werden.

Die Erfahrung der vergangenen zwanzig Jahre zeigt allerdings, dass sich die Autorität einzelner Frauen (die ja in diesem Zeitraum durchaus beachtlich gestiegen ist, wofür nicht nur die lange Kanzlerinnenschaft von Angela Merkel steht) leider nicht in eine Stärkung weiblicher Autorität generell übersetzt hat. Es werden zwar mehr Frauen als früher als Personen anerkannt und können Einfluss erlangen, doch nach wie vor nur um den Preis der symbolischen Entledigung ihres Frauseins: nicht weil, sondern obwohl sie Frauen sind. An dieser Stelle muss deshalb heute noch weiter gedacht werden: Wenn es keine weibliche Identitätspolitik geben kann, weil das das Konzept der „Identität“ unvereinbar ist mit dem, was wir feministischerseits sinnvollerweise mit Weiblichkeit verknüpfen wollen (nämlich Freiheit, die aus der Differenz entsteht, aus der Beziehung zum Anderen), wenn wir aber andererseits die Notwendigkeit sehen, das Frausein sichtbar zu machen, um weibliche Autorität in der Welt einflussreich zu machen und damit sie sie zum Anknüpfungspunkt für andere werden kann (was ja heute, wie spätestens mit den Women’s Marches am 21. Januar deutlich wurde, nicht mehr ausschließlich Frauen betrifft, sondern alle Geschlechter ) – welche neuen Wege können wir da gehen, welche hilfreichen politischen Praxen entwickeln?