Antje Schrupp im Netz

Weibliche Freiheitbesteht darin, als weibliches Subjekt mit den eigenen Wünschen und Begehren der Welt gegenüber treten zu können. Das heißt, ich bin frei, wenn ich auf eine Weise in der Welt handele, in der weder mein Frausein unsichtbar oder nebensächlich wird (das ist das »weibliche«), in dem ich aber dennoch nicht auf bestimmten Inhalte festgelegt bin von dem, was »weiblich« zu sein hat (das ist das »Freiheit«).

Was ist eine Frau?Das ist nicht festgelegt. Es liegt weder in den Genen noch in der Natur begründet, und es ist auch nicht festgelegt durch die Erziehung, die Sozialisation usw. Sondern die Bedeutung des Frauseins wird in jeder Kultur und in jeder Zeitepoche, ja letztlich in jedem Moment und in jeder konkreten Situation neu ausgehandelt. Und zwar von den Frauen, die so sind wie sie sind und dadurch die Möglichkeiten des Frau-Seins umreißen.

Sexuelle Differenz:Die Freiheit einer Frau besteht darin, dass sie ihre sexuelle Differenz lebt, das heißt: dass sie sich aktiv von anderen Frauen unterscheidet. Indem eine Frau etwas anderes tut als die Mehrheit der Frauen, oder sogar etwas, das die Mehrheit der Frauen ablehnt oder etwas, das bis dahin für unmöglich gehalten wird – indem sie so handelt, erweitert die Möglichkeiten des Frauseins. Das ist die große Bedeutung der Differenz unter Frauen. Indem eine Frau anders ist als ich, hat sie ein »Mehr«, an dem sich möglicherweise mein Begehren anknüpfen kann. Sie eröffnet und verkörpert Möglichkeiten, die alle anderen Frauen den Horizont des Frauseins neu umreißen – das macht sie u.U. »attraktiv«

Jede Frau ist weiblich:Im Bezug auf die Diskussionen um »männliches Verhalten« von manchen Lesben z.B.: Eine Frau, die sich »wie ein Mann« verhält, verhält sich nicht männlich, sondern sie verhält sich auf eine neue Weise weiblich. Ihr Verhalten ist ein Beitrag zu den Verhandlungen unter Frauen, die bestimmen, was Frausein jeweils bedeutet. Sie umreißt die Möglichkeiten des Frauseins neu und erweitert sie. Es ist also kein männliches, sondern ein weibliches Verhalten, das sie da an den Tag legt.

Konflikte unter Frauen. Differenz bedeutet immer einen Konflikt. Die Sehnsucht nach Frauenbeziehungen ist unter vielen Frauen, auch unter Heteras, da, aber sie haben falsche Vorstellungen davon, sie erwarten von Frauenbeziehungen Übereinstimmung, Solidarität, gegenseitige Bestätigung. Das Bewusstsein davon, dass Frauenbeziehungen notwendigerweise Konfliktbeziehungen sind und dass das nicht schlimm ist, sondern gut, weil darin die Differenz zum Ausdruck kommt, die den ganzen Sinn einer Beziehung ausmacht, das ist nicht gut bewusst. Daher falsche Erwartungen, die dann enttäuscht werden usw.

Weiblicher Konformismus:Nicht jede Beziehung unter Frauen befördert automatisch weibliche Freiheit. Auch in Frauenbeziehungen und in Teilen der Frauenbewegung gibt es viel Konformismus, zum Beispiel dann, wenn Unterschiede zwischen Frauen eingeebnet werden, wenn sich einige Frauen zu Repräsentantinnen oder Stellvertreterinnen anderer Frauen machen, oder wenn das Frausein inhaltlich auf bestimmte Positionen und Ansichten beschränkt wird. Das heißt, es kursieren immer Meinungen über das, was eine »richtige« Frau zu sein hat.

Freiheit ist nicht Unabhängigkeit:denn Autonomie ist eine Illusion, wir sind immer angewiesen auf Beziehungen. Dies betrifft v.a. mein Frausein: Eine Frau ist eine, die von ihrer Umwelt als »weiblich« identifiziert wird und die diesem Urteil in Freiheit zustimmt und es für sich akzeptiert. – dh wir können die Bedeutung von Frausein nicht allein, unabhängig vom Kontext definieren, sondern wir müssen es immer aushandeln.

Frauenbeziehungen: Welche Bedeutung das Frausein also hat, kann niemals mit Männern verhandelt werden. Das hat nichts mit dem guten oder bösen Willen der Männer zu tun, sondern mit der schlichten Tatsache, dass sie Männer sind und keine Frauen. Männer können uns vielleicht spiegeln, wie Frauen auf sie wirken. Aber sie können nichts darüber sagen, was Frausein bedeutet. Wenn Frauen also die Anerkennung ihres Frauseins bei Männern suchen, werden sie scheitern, und das verursacht viel Leid. Ihre Freiheit findet eine Frau nur in der Beziehung zu anderen Frauen. Und zwar gilt das für jede Frau, egal ob sie lesbisch ist oder Hetera. In dieser Hinsicht stimmt der alte Spruch, dass jede Frau eine Lesbe ist, nur manche es noch nicht wissen.

Geschlechterdifferenz als grundlegende Differenz:Nur Frauen untereinander können über den freien Sinn der weiblichen Differenz verhandeln. Das Frausein hat eine existenzielle Bedeutung für jede Frau hat. Mein Frausein lässt sich nicht von meinem Menschsein und auch nicht von meiner Individualität trennen. Ich bin immer alles zugleich: Mensch, Frau und Individuum. Das Frausein ist daher nicht einfach nur ein Merkmal wie Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Klassenzugehörigkeit usw. Sondern Ich bin Frau. Frausein ist meine Existenz, von ihm kann ich nicht absehen.

Zukunft: Was ich mir für die Zukunft der Frauenbewegung und damit auch von der Zukunft der lesbischen Bewegungen wünsche, das ist, dass sie die Freiheit, die sie in den Beziehungen untereinander gefunden haben, als freie Frauen in die Welt tragen. Dass die Kultur der Frauenbeziehungen ausstrahlt in die Gesellschaft, und zwar auf eine Weise, dass jede Frau dort einen Ort findet für ihr eigenes Begehren, für ihre eigenen Wünsche und Absichten.

Dialog mit den Männern: Es ist notwendig, dass wir (Frauen und Lesben) verstärkt das Gespräch mit Männern führen. Nur eine Frau, die sich in Freiheit an die Autorität anderer Frauen bindet, kann diesen Dialog führen, weil sie bei den Männern nicht immer Anerkennung ihrer Existenz sucht. Wir dürfen bei den Männern nicht Anerkennung suchen (unseres Frauseins, unserer Lebensform, was auch immer). Aber wir müssen mit ihnen reden, weil die Welt in einem recht desolaten Zustand ist und das männliche Prinzip überall versagt. Wir müssen also dringend neue Regeln für das Zusammenleben aushandeln, und das geht nur im Dialog mit den Männer. Dabei ist es wichtig, dass wir als »starke Frauen« in diesen Dialog gehen, dass wir ihn also mit Respekt vor der männlichen Differenz führen (d.h. keine Klischees pflegen, die konkrete Person sehen usw.) Und dass wir dabei mit weiblicher Autorität sprechen, also als Frauen, die bereits frei sind, und die von diesem Wissen ausgehend etwas erreichen wollen, die z.B. Bedingungen für eine Zusammenarbeit stellen, usw. – je nach konkreter Situation, wo eine mit Männern zu tun hat, Arbeit, politische Gruppe… Bei diesem Dialog sollten Lesben und Heteras sich gegenseitig unterstützen – Heteras haben oft mehr Schwierigkeiten, weil sie noch das »Anerkennungsproblem« haben, manche Lesben haben aber die Begegnungen mit den Männern so auf ein Minimum reduziert, dass sie diesbezüglich etwas »aus der Übung« sind.

(Podiumsdiskussion beim LFT im Mai 2004 in Gießen)