Antje Schrupp im Netz

»Eine Kirche, die wir lieben können«

Ich finde die Formulierung von Bärbel Wartenberg-Potter »Eine Kirche, die wir lieben können« sehr schön und viel besser als »geschlechtergerechte« Kirche. Das Wort »Geschlechtergerecht« ist in der Tat ein Ungetüm, und ebenso schrecklich wie das, was es aussagt: Geschlechtergerechtigkeit ist doch kein Zweck an sich, denn eine Welt, in der es im Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter zwar gut bestellt ist, alles andere aber so ungerecht bleibt, wie es bisher schon war, ist doch nicht erstrebenswert. Und ich finde, in Deutschland nähern wir uns diesem Zustand so langsam an: Gleichstellung der Frauen bei gleichzeitiger Verschlimmerung von sozialer Ungleichheit usw.

Also: An einer geschlechtergerechten Kirche liegt mir gar nichts, sondern mein Kriterium ist, ob es eine gute Kirche ist, eine, in der Gottes Wille aufgehoben ist, eine, die es Menschen ermöglicht, spirituelle Erfahrungen zu machen und die sozusagen die Notwendigkeit einer transzendenten Dimension in einer materialistischen und vernunft-rationalistisichen Welt wachhält – so eine Kirche müsste es meiner Meinung nach sein.

Und natürlich liegt es doch wohl völlig auf der Hand, dass eine Kirche, die Frauen systematisch an einer selbstbewussten Beteiligung hindert, oder die Geschlechterklischees verbreitet, auf keinen Fall eine »gute« Kirche in diesem Sinne sein kann. Allerdings gilt eben, dass auch nicht jede Kirche, die die Gleichheit der Geschlechter betont und die Gleichstellung der Frauen wichtig findet, so eine »gute« Kirche ist.

Aber noch einmal zurück zu der Frage: Was ist eine »Kirche, die wir lieben können?« – und: Haben wir so eine Kirche? Ich kann für mich persönlich sagen: Ja, ich habe so eine Kirche. Ich arbeite sogar für diese Kirche, und leite die Redaktion einer kirchlichen Mitgliederzeitung und das ist eine sehr schöne Arbeit. Es ist für mich selbstverständlich, dass die Zeitung konsequent inklusive Sprache benutzt, Frauenthemen prominent platziert natürlich eine mindestens 50% Quotierung bei Meinungsartikeln für Frauen einhält. Nicht, weil das irgendwo beschlossen worden wäre, sondern weil ich das so mache, und ich bin dem Evangelischen Regionalverband Frankfurt bzw. dessen Vorsitzender dafür dankbar, dass sie mich lässt. Wobei ich das aber nicht als wohltätigen Akt interpretiere, denn die Kirche hat auch selbst was davon, weil es auf diese Weise nämlich eine gute Zeitung wird.

Oder: Wir haben in Frankfurt ein Ev. Frauenbegegnungszentrum, das in den 80er Jahren von der kirchlichen Frauenbewegung in harter Anstrengung erkämpft wurde, und dort gibt es schöne Veranstaltungen, die ich regelmäßig besuche. Da fühle ich mich wohl und zuhause, während ich mich in »normalen« Gottesdiensten oft fremd fühle. Gäbe es diese Frauengottesdienst nicht, ich würde wahrscheinlich sehr selten einen Gottesdienst besuchen.

Und: Ich habe enge politisch-freundschaftliche Beziehungen zu Frauen, in denen wir politische und theologische Ideen ausbrüten und verbreiten, und dabei geht es immer auch um eine spirituell-transzendente Dimension (ohne die lässt sich politisch nämlich nichts Vernünftiges sagen), das ist zwar nicht eine offizielle Kircheninstitution, aber doch für mich eine Art Kirche, nämlich ein realer, innerweltlicher Ort, an dem Gottes Wort zirkuliert und der Heilig Geist weht, manchmal jedenfalls.

Dies alles zeigt, dass wir bereits eine postpatriarchale Kirche haben, dass sie real existiert in dieser Welt, dass sie Fruchtbares hervorbringt. Die Bibel in gerechter Sprache ist natürlich auch noch so ein ganz herausragendes postpatriarchales Ereignis dieser Kirche, die ich liebe.

Die Grenzen dieser Kirche, die ich liebe, sind aber nicht identisch mit den offiziellen Kirchengrenzen. In der postpatriarchalen Kirche, die die weibliche Liebe zur Freiheit hervorgebracht hat, arbeiten evangelische und katholische Frauen zusammen, aber auch Musliminnen, Jüdinnen, Säkulare und Anhängerinnen heidnischer Spiritualität. Nicht das Label ist entscheidend, sondern und die ernsthafte Suche nach Transzendenz, also dem Willen Gottes, sowie die Bereitschaft zu spiritueller Offenheit und Ernsthaftigkeit im Umgang mit Andersdenkenden.

Andererseits sind manche Institutionen und Gruppierungen, die zur offiziellen »Institution« evangelische Kirche gehören, meiner Ansicht nach schlicht und ergreifend gotteslästerlich, wie etwa fundamentalistische Christen, die häufig ideologisch und selbstgerecht sind, oder auch bestimmte »Managertypen« mit einem männlichen Gestus des professionellen Machers. Sie sind nicht offenes und wanderndes Gottesvolk, sondern hängen entweder an überholten Verhältnissen der Vergangenheit oder laufen dem Zeitgeist hinterher.

Wobei es unmöglich ist, so ein Urteil generell zu fällen. Es gibt in allen Gruppierungen Menschen, denen es wirklich um den Willen Gottes geht, die aber aus irgendwelchen Gründen dabei zu anderen Ergebnissen kommen als ich – mit denen diskutiere ich gerne, weil dieses Gespräch über das »gute Leben für alle Menschen und die gesamte Schöpfung« (was für mich ein Synonym für den Willen Gottes ist) natürlich besonders fruchtbar ist, wenn dabei unterschiedliche Aspekte zur Sprache kommen, denn ich selbst kann mich ja natürlich auch irren dabei. Das heißt, letztlich kann ich nur aufgrund der persönlichen Begegnung sagen, wer zu dieser postpartriarchalen Kirche, die ich liebe, gehört und wer nicht. Es kommt dabei auf eine innere Haltung an, nicht auf das formale Bekenntnis.

Aber es gibt eben innerhalb der Kirche definitiv auch eine Vielzahl von Menschen, die gar nicht wirklich auf der Suche nach Gottes Willen sind, sondern die einfach Macht haben wollen, die Kirche unter Karriere- und Marketing-Aspekten betrachten. Ihnen gehe ich möglichst aus dem Weg. Ich sage natürlich, was ich von ihnen denke, wenn ich danach gefragt werde oder es mit ihnen zu tun habe. Aber sie sind für mich kein Maßstab und ich halte sie im Bezug auf Gott, also meine Frömmigkeit, auch für gänzlich irrelevant.

Und es ist mir auch egal, ob diese Gruppen nun geschlechtergerecht sind oder nicht. Eine fundamentalistische Gruppierung, die sich die Bibel so zurechtlegt, dass sie der eigenen konservativen Moral entspricht, und die sich weigert, wissenschaftliche Forschungsergebnisse zu berücksichtigen, wird ja nicht dadurch besser, dass sie zur Hälfte aus Frauen besteht. Es kann sogar so sein, dass die Gleichstellung von Frauen geradezu als Legitimation dient, um alte, männliche Denkrahmen umso einfacher fortführen zu können, wenn etwa Bischöfinnen nur die Rolle von »Symbolfiguren« haben und nicht wirklich etwas verändern können.

Die postpatriarchale Kirche, zu der ich mich zähle, ist also nicht deckungsgleich mit den verfassten Kirchenorganisationen. Sie ist gleichzeitig innerhalb wie außerhalb der verfassten Kirche. Deshalb habe ich auch keine so großen Ängste im Bezug auf das Sterben herkömmlicher Kirchenstrukturen. Es geht dem Volk Gottes nichts Wesentliches verloren, wenn diese Institution Mitglieder verliert. Eine Kirche, die zum Beispiel meint, sich gegen andere Religionen und Konfessionen »profilieren« zu müssen, halte ich für äußerst problematisch. Gott ist ja nicht evangelisch oder katholisch oder auch nur christlich. Gott ist einfach Gott, und es gibt unterschiedliche Kulturen und Traditionen und Erfahrungen, die von Begegnungen mit ihr erzählen. Kirchen, die sich auf Kosten anderer Religionen profilieren wollen, die ihre Aufgabe darin sehen, zu missionieren und dabei nicht die Verkündigung von Gottes Wille meinen, sondern die Vergrößerung ihrer eigenen Marktanteile – solche Kirchen brauchen wir nicht, beziehungsweise Gott braucht sie nicht.

Dieser Prozess der Umorganisation Deutschlands von einer christlichen in eine multireligiöse Gesellschaft ist natürlich sicher ein schwieriger Prozess, aber das ist eine rein innerweltliche Herausforderung und hat mit dem lieben Gott überhaupt nichts zu tun. Es handelt sich hier einfach um eine sozialpolitische Aufgabe.

Mir ist dabei wichtig, dass mein Maßstab, mein Kriterium für mein innerkirchliches, inner-institutionelles Handeln, nicht diese Institution selbst ist, sondern vielmehr jene postpatriarchale, von weiblicher Liebe zur Freiheit getragene Kirche, die quer zu den Institutionengrenzen verläuft, aber damit nicht weniger real ist. Hier ist mein spiritueller Ort, hier wird eine religiöse Praxis gelebt, die mir Begegnungen mit Gott ermöglicht, hier habe ich den Heiligen Geist wehen sehen, hier finde ich Anbindung an die Transzendenz und die christliche Gemeinschaft mit anderen. Und aus all dem gewinne ich eine Stärke, die es mir ermöglicht, wiederum auch innerhalb der weltlichen Institution Kirche, ebenso wie überhaupt in der weltlichen Realität, so wie ich sie vorfinde, mit all ihren Hindernissen und Problemen, sinnvoll handeln zu können.


Statement bei der MItgliederversammlung der »Offenen Kirche« in Stuttgart, 28.3.2009