Antje Schrupp im Netz

Newsletter vom 20.3.2006

1. Endstation der Moderne

»Endstation der Moderne« heißt der Artikel von Luisa Muraro, aus dem ich im letzten Newsletter einen Abschnitt über Relativität und Relativismus zitiert habe. Dass die Suche nach Vermittlungen, das Eingehen von Beziehungen zwischen Verschiedenen vielleicht die einzige Möglichkeit ist, im gegenwärtigen interkulturellen Durcheinander zu einer Verständigung zu kommen, erscheint mir wegweisend und wichtig. Also die Frage, wie wir uns zu dem Anderen unserer selbst in Beziehung setzen können, ohne dabei auf die Herrschaft der einen über die anderen oder auf ein gleichgültiges Nebeneinander zurück zu kommen. Dorothee Markert hat jetzt dankenswerter Weise den ganzen Artikel übersetzt und stellt ihn allen zur Verfügung!

antjeschrupp.de/muraro-endstadtion-modernitaet

2. Bücher über türkische Söhne und Töchter

Sehr empfehlen möchte ich euch in diesem Zusammenhang Hilal Sezgins Report über deutsch-türkische Frauen der zweiten Generation. Ihr Buch basiert auf biografischen Interviews, die auf intelligente und erhellende Weise analysiert und miteinander ins Gespräch gebracht werden. Sezgin hat bei der Auswahl ihrer Gesprächspartnerinnen halbwegs darauf geachtet hat, eine gewisse Bandbreite an Lebensstilen und familiärem Hintergrund einzubeziehen. Ihr Buch ist so angenehm zu lesen, weil sie die Interviews nicht nur führt, um eine ohnehin schon vorgefertigte und feststehende Meinung zu untermauern, sondern wirklich an ihrem Gegenüber interessiert ist. Als Leserin sitzt man quasi mit im Café oder im Wohnzimmer und lauscht dem Interview, oder vielmehr dem Gespräch, denn Sezgin fragt immer wieder kritisch nach, widerspricht, kommentiert. Ganz abgesehen davon, dass sie brillant und witzig schreibt, weshalb die Lektüre nicht nur lehrreich, sondern auch absolut amüsant ist. Daher: Lesen, verschenken, weiterempfehlen!

Wenig erfreulich im Hinblick auf das Zusammenleben der Kulturen ist hingegen das neue Buch von Necla Kelek. Wie schon in ihrem vorjährigen Bestseller »Die fremde Braut« entwirft Kelek auch diesmal wieder das Horrorbild einer islamischen Parallelgesellschaft, der in ihrer anatolischen Rückständigkeit und mit ihren verquast-patriarchalen Sitten eigentlich gar nicht mehr zu helfen ist. Das Ganze basiert auf Interviews mit türkischen Männern, fast nur Gefängnisinsassen. Ein wohl eher aus kommerziellen Interessen auf den Markt geworfenes Buch, das aber wohl wieder zu aufgeregen Pseudo-Debatten in der Medienlandschaft führen wird.

Hilal Sezgin: Typisch Türkin? Portrait einer neuen Generation, Herder 2006, 191 Seiten. Rezension: antjeschrupp.de/rez-sezgin-typisch-tuerkin

Necla Kelek: Die verlorenen Söhne. Plädoyer für die Befreiung des türkischen Mannes. Kiepenheuer und Witsch, 2006. Rezension

Noch ein Tipp zum Thema: Hülya Rinscheid: Lebe – Yascha, edition Fischer 2005, antjeschrupp.de/rez-rinscheid-yascha.

3. Vortrag: Zukunft der Frauenbewegung

Nachdem meine kleine »Tournee« in Sachen »Zukunft der Frauenbewegung« vorbei ist (bei der ich einige von Euch persönlich kennen lernen konnte, hallohallo!) steht mein Vortrag dazu jetzt auch im Internet. Gibt es ein Resumee zu ziehen? Aufgefallen ist mir, dass vielerorts eine Art »Kooperationsprozess« in Gange zu sein scheint: Autonome Frauenzentren kooperieren mit Gleichstellungsstellen, ehemals inhaltlich verschieden »profilierte« Frauenbildungsprojekte arbeiten zusammen. Ein vielleicht von knapper werdenden Ressourcen angestoßener, aber wie zu sehen war auch inhaltlich höchst wertvoller Prozess – denn er führt dazu, dass Differenzen diskutiert und ausgetragen und nicht einfach aus Tradition gehegt und gepflegt werden.

Im Laufe der Diskussionen hat sich dabei auch der Vortrag selbst weiterentwickelt, weshalb ich ihn in zwei Versionen ins Netz gestellt habe, gewissermaßen der »ersten« mit der ich losgezogen bind, und der »zweiten«, die am Ende sich herausgeformt hatte. Der wichtigste Aspekt dieser Veränderungen war bei mir die Einsicht, dass es wichtig ist, am Freiheitsbegriff zu arbeiten. Denn da die weibliche Freiheit inzwischen im neoliberalen Diskurs angekommen ist (der unter Freiheit aber nur die Wahlmöglichkeit zwischen vorgegebenen Alternativen versteht), ist inzwischen sogar dies eine zwiespältige Angelegenheit. Deshalb geht es darum, immer wieder zu betonen, dass die Grundlage der Freiheit der Frauen eine politische Praxis der Beziehungen unter Frauen ist – und nicht ein entfesselter so genannt »freier« Markt. Denn nur diese politische Praxis der Beziehungen ermöglicht es, wirklich neue Ideen zu entwickeln und über das Vorgegebene hinauszukommen. Damit die Freiheit der Frauen nicht zu einer Legitimation für marktkonforme Flexibilitätsansprüche wird, sondern ihren herrschaftskritischen Impuls behält.

Die Vorträge stehen unter antjeschrupp.de/frauenbewegung-2006 (1. Version) und unter antjeschrupp.de/frauenbewegung-zusammenhang im Internet.

4. Sich in Beziehung setzen – kommendes Wochenende in Wien!

Falls jemand kommendes Wochenende noch nix vorhat: Um genau diese »Weltsicht der Freiheit in Bezogenheit« geht es in Wien bei einem Workshop im Kardinal König Haus. »In Beziehung setzen« könnt Ihr euch dabei unter anderem mit Ina Praetorius, Maria K. Moser, Michaela Moser und mir. Am Freitagabend stellen wir die gleichnamige Aufsatzsammlung vor; am Samstag gibt es einen Workshop für Frauen zu vier Schwerpunkt-Themen: Global(isiert)e Bezogenheit (Maria Katharina Moser), Neue Perspektiven für eine Politik des Sozialen (Michaela Moser), Hingehen und mit anderen reden: Zur Bedeutung der persönlichen Vermittlungsarbeit in politischen Prozessen (Antje Schrupp) und Zellgeflüster, Caring und Gott in Beziehung: Interdisziplinäre Zusammenarbeit als notwendiges Wagnis (Ina Praetorius).

24/25. März, Kardinal König Haus, Kardinal-König-Platz 3, 1130 Wien, Anmeldung Tel.+43-1-804 75 93 Teilnahmebeitrag: EUR 50,– (inkl. Abendessen am Freitag und Mittagessen am Samstag)

Fr., 24. März, 19.30: Präsentation des Buches Ina Praetorius (Hg.), Sich in Beziehung setzen. Zur Weltsicht der Freiheit in Bezogenheit, erschienen im Herbst 2005 bei Ulrike Helmer. Die Buchpräsentation ist auch für Nicht-Workshop-TeilnehmerInnen offen.

Mehr zum Buch: antjeschrupp.de/bezogenheit

5. Attac-Diskussion zum Grundeinkommen

Ein konkretes Ergebnis unseres Nachdenkens und Diskutierens darüber, was eine solche »Weltsicht der Freiheit in Bezogenheit« konkret bedeuten könnte, sind die Argumente für ein leistungsunabhängiges Grundeinkommen. Dieser Text, der im Internet dokumentiert ist, bietet immer wieder Anlass zu Kontakten über den eigenen »Tellerrand« hinaus. So bin ich Ende März eingeladen, diese Gedanken bei einer Diskussionsveranstaltung von Attac Bonn vorzustellen. Hauptknackpunkt ist dabei in vielen »linker« Konzepten, dass sie Haus- und Carearbeit mit dem Grundeinkommen abgedeckt sehen. Dies würde aber dazu führen, dass diese Arbeit weiterhin symbolisch unsichtbar gemacht wird. Ich bin sehr gespannt auf die Diskussion.

Veranstaltung des Rosa-Luxemburg-Clubs und Attac Bonn, Dienstag, 28. März, 20 Uhr, DGB-Haus, Endenicher Str. 127, 20 Uhr. Siehe auch www.gutesleben.org.

6. Begehren – immer noch die Basis von allem

Manchmal geraten Gedanken und Themen, die eigentlich wichtig sind, unversehens etwas in den Hintergrund. So ging es mir in den letzten Monaten mit dem »Begehren«. Vor lauter konkreten Debatten über Bücher, Männer, Multikulti, Wirtschaft stand ich manchmal, gerade auch in Diskussionen, in der Versuchung, die Basis des Ganzen außen vor zu lassen: Das weibliche Begehren. Diese Idee stößt oft auf großen Widerspruch, weil dem eigenen Begehren zu folgen als ein »Luxus« für gut situierte Mittelstandsfrauen gesehen wird. Dieses Missverständnis zu vermeiden, ohne sehr weit auszuholen, gelingt mir oft nicht. Da es aber wirklich der Knackpunkt von allem ist, freue ich mich, im April gleich zweimal Gelegenheit zu haben, unabhängig von tagespolitischen Fragestellungen das Thema Begehren zu diskutieren.

Veranstaltungsankündigungen unter antjeschrupp.de/vortrag.

Meine älteren Vorträge zum Thema Begehren unter antjeschrupp.de/begehren

7. Vorschau: Brauchen wir »große Frauen?«

Frauenbiografien sind sehr beliebt. Doch was hat es mit unserer Bewunderung für »große Frauen« auf sich? Wird sie ihnen gerecht, ist das Vereinnahmung, wo bringt uns die Historie weiter und wo sind Idole auch hemmend? Darum geht es, grob gesagt, bei einer Veranstaltung am 20. April in Frankfurt. Das Ganze steht auch im Rahmenprogramm zum Frauengedenklabyrinth, das in Wiesbaden ausgelegt wird. Mehr dazu im nächsten Newsletter.

www.frauen-gedenk-labyrinth.de