Antje Schrupp im Netz

Kampf um die Frauenrechte in den letzen 20 Jahren – wo stehen wir heute?

Herzlichen Dank für die Einladung, heute zur Gründung des Bad Kreuznacher Frauenforums zu sprechen. Frau Gemünden hat mir die Liste der eingeladenen Frauen und der Institutionen, in denen sie tätig sind, zugeschickt, und es ist ja wirklich beeindruckend, was Sie in dieser Region alles auf die Beine stellen.

Es zeigt auch, wie breit das Spektrum dessen ist, wofür Frauen sich engagieren: Nicht nur in dem engeren Sinn von Partei- und Gremienpolitik wie die Stadträtinnen oder die Mitarbeiterinnen in traditionsreichen Institutionen wie der Stadtverwaltung, den Gewerkschaften, der Kirche. Und auch nicht nur in den im engeren Sinne mit Frauen und ihren Problemen befassten Stellen und Einrichtungen, wie etwa die Gleichstellungsbeauftragte oder Vereine wie »Frauen helfen Frauen«. Sie engagieren sich auch für ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderungen, für die Anliegen türkischer Frauen und Mütter, für neue Wohnformen, für die Anliegen älterer Menschen und wahrscheinlich noch für vieles mehr, denn bei vielen Vereinen und Initiativen ging aus dem Titel gar nicht hervor, was ihr spezieller Schwerpunkt eigentlich ist.

In diesem Sinne stehen Sie in einer guten und Jahrhunderte alten Tradition der Frauenbewegung, die nämlich schon immer mehr war als ein Lobbyverband zur Vertretung von Fraueninteressen. Der Frauenbewegung geht es um ein gutes Leben für alle Menschen. Im 19. Jahrhundert zum Beispiel engagierten Frauenrechtlerinnen sich dafür, die Situation in Gefängnissen zu verbessern, organisierten Wohlfahrtsarbeit für Arbeiterfamilien, bekämpften die Folgen des Alkoholismus oder setzen sich für die Rechte von Prostituierten ein. Sie organisierten Bildung für Mädchen, machten Friedenspolitik und so weiter.

Das Anliegen der Frauenbewegung ist die Arbeit an einer Gesellschaft, in der alle Menschen die Chance und die Möglichkeit haben, in Freiheit und Wohlbehagen zu leben. Das war früher so und ist auch heute so.

Wenn man aber schaut, von wo aus und in welcher Position Frauen sich engagieren, dann wird auch deutlich, wie vieles sich inzwischen verändert hat. Vor weniger als einem Jahrhundert noch waren Frauen aus den öffentlichen Institutionen und aus der offiziellen Politik ausgeschlossen. Sie hatten kein Wahlrecht, sie hatten keinen Zugang zu öffentlichen Geldern. Ihr politisches Engagement galt als ihr privates Vergnügen, sie mussten selbst ihr Vermögen hineinstecken oder Sponsoren gewinnen, und für geschäftliche Transaktionen mussten sie wohl gesonnene Männer finden, weil sie selbst nicht vertragsfähig waren. Sie durften ihr Engagement nicht einmal politisch nennen, sondern mussten sich hinter den Floskeln sozialer Wohltätigkeit verstecken, denn erst vor genau 100 Jahren, 1908, ist in Deutschland das Gesetz abgeschafft worden, das Frauen jede politische Tätigkeit ausdrücklich verboten hat.

Deshalb kämpften die Frauen für das Wahlrecht. Es ging ihnen daher – jedenfalls den meisten von ihnen – nicht um eine abstrakte Gerechtigkeitsformel, nach dem Motto: Die Männer dürfen wählen, also wollen wir auch. Sondern es ging ihnen darum, ihre Möglichkeiten für ein Engagement in der Welt zu erweitern. Sie dachten, wenn wir das Wahlrecht haben, können wir uns besser zu Wort melden, können wir mehr bewirken. Und wie wir an uns heute sehen, war das durchaus erfolgreich. Wir Frauen stehen heute nicht mehr außerhalb der Institutionen, wie noch vor wenigen Jahrzehnten, sondern wir haben Zugang zu ihnen. Wir leiten Vereine, verwalten öffentliche Gelder, manche von uns sind in ein Amt gewählt worden. Kurz gesagt: wir haben Einfluss.

Natürlich könnte man nun fragen, warum es dann überhaupt noch ein Frauenforum geben muss. Ist das Thema Frauenbewegung nicht überflüssig geworden, hat sich das nicht überholt? Wozu müssen sich Frauen noch eigens zusammenschließen? Ist es nicht Zeitverschwendung, sich neben der vielen Arbeit und den vielen Aufgaben, die Sie alle haben, noch drei oder viermal im Jahr einen Termin für solch ein Frauenforum freizuhalten? Ich glaube nicht, ich glaube, dass Feminismus heute wichtiger ist denn je, und möchte Ihnen das auch begründen.

Feminismus bedeutet, um mal eine Definition zu versuchen, das Eintreten für die weibliche Freiheit, gegen die Unterordnung des Weiblichen unter das Männliche, für eine Politik der Frauen, die auf dem individuellen Begehren der jeweiligen Frauen gründet. Feminismus bedeutet also die Arbeit daran, dass Frauen als denkende und handelnde Persönlichkeiten Verantwortung für die Welt übernehmen.

Und je nachdem, wie sich die Zeitläufe verändern, verändert sich auch die Frauenbewegung. Das freie Handeln der Frauen in der Welt richtet sich dann an den neuen Gegebenheiten aus. Wie wir im vergangenen Jahr in den Medien mitverfolgen konnten, ist ja Feminismus wieder ein ganz heißes Thema, das sogar in Talkshows verhandelt wird. Junge Frauen melden sich zu Wort und schreiben feministische Bücher. Das Wort »Alphamädchen« hat ja in letzter Zeit die Runde gemacht. Es gibt sicher vieles zu diesem Wort zu sagen, aber es ist wahrscheinlich auch deshalb so populär, weil es ein Paradox auf den Punkt bringt, der heute, in Zeiten der Gleichstellung, eine große Herausforderung für den Feminismus mit sich bringt.

Frauen sind keine Opfer mehr, sie sind potenziell genau solche »Alphatiere«, wie es vor der Gleichstellung nur die Männer sein konnten. Natürlich werden Sie jetzt einwenden, dass die Gleichstellung doch noch ganz schöne Lücken aufwirft, dass Frauen im Schnitt weniger verdienen als Männer, dass sie viel zu selten in Führungspositionen sind und so weiter. Und das alles stimmt ja auch. Aber trifft es wirklich den Kern der gesellschaftlichen Probleme, mit denen wir es heute zu tun haben? Oder liegen diese nicht eigentlich ganz anderswo, nämlich in der schlechten Integrationspolitik, in einem immer aggressiveren Wirtschaftsliberalismus, in dem Auseinanderdriften der sozialen Schere, in einer laschen Klimapolitik und so weiter?

Ich habe manchmal den Eindruck, dass wenn zu sehr immer wieder betont wird, dass die Gleichstellung doch noch nicht ganz verwirklich ist, dass Frauen immer noch benachteiligt sind und so weiter, dass dahinter ein Missverständnis über das Wesen des Feminismus und der Frauenbewegung steckt. Viele – übrigens Frauen wie Männer – scheinen der Meinung zu sein, es dürfe den Feminismus nur geben als Gegenreaktion gegen Frauendiskriminierung. Und so versuchen die einen zu beweisen, dass Frauen doch nicht mehr diskriminiert werden, um damit die Frauenbewegung ad acta legen zu können, während die anderen die bestehenden Ungerechtigkeiten künstlich aufbauschen, aber aus demselben Grund: Weil sie nur dann glauben, ihr frauenbewegtes Engagement weiterhin rechtfertigen zu können.

Wenn wir aber davon ausgehen, dass die Frauenbewegung keine Lobbyvertretung für Fraueninteressen ist, sondern eine Bewegung von freien, engagierten Frauen, die für eine Welt eintreten, in der alle Menschen gut leben, dann ist dieser Umweg gar nicht nötig.

Dann können wir nämlich sagen: Gerade wenn Frauen emanzipiert und gleichberechtigt sind, brauchen wir den Feminismus umso nötiger. Denn je mehr emanzipierte und einflussreiche Frauen wir haben, umso wichtiger ist es, was sie tun und welchen Sinn sie ihrem Frausein geben. Ob sie sich einfach den herkömmlichen Gepflogenheiten anpassen, oder ob sie wirklich die Freiheit haben, auch gegen den Mainstream zu schwimmen, ihre eigenen Anliegen und Perspektiven in die Welt einbringen.

Man könnte die Frage auch anders formulieren: hat die sexuelle Differenz, also die Tatsache, dass es Frauen gibt (und nicht nur Männer), dass es zwei Geschlechter gibt, und nicht nur eigenes, jenseits von Benachteiligung und Diskriminierung überhaupt noch eine Bedeutung?

Die italienische Feministin Carla Lonzi warnte bereits 1974 vor einem Denken, das davon ausgeht, dass Feminismus und Gleichstellung dasselbe wäre. Sie schrieb: »Die Gleichheit der Geschlechter ist heute das Gewand, mit dem sich die Unterordnung der Frau tarnt.«

Wie könnte das gemeint sein? Inwiefern kann sich die Unterordnung der Frau in das Gewand der Gleichheit der Geschlechter kleiden? Theoretisch könnte man es so formulieren: heute sind die Frauen zwar gleichberechtigt, das Weibliche jedoch ist dem Männlichen noch immer untergeordnet.

Praktisch sieht das so aus: die so genannten Fürsorgearbeiten zum Beispiel, also die Erziehung von Kindern oder der Pflege von alten und kranken Menschen sind bekanntlich historisch gesehen »weibliche« Tätigkeiten, also solche, die früher als spezielle Aufgabe von Frauen definiert worden sind, und die auch heute noch überwiegend von Frauen gemacht werden. Und wie Sie alle wissen, werden diese Tätigkeiten gesellschaftlich nach wie vor kaum anerkannt, sie sind zum Beispiel schlecht oder überhaupt nicht bezahlt. Und es ist auch keine Besserung in Sicht: bei den jüngsten Veränderungen im öffentlichen Tarifrecht zum Beispiel ist es ein offenes Geheimnis, dass hier die Bedingungen für klassische Frauenberufe im Gegenteil sogar noch mehr verschlechtert worden sind.

Nun gibt es aus der Perspektive der Gleichstellung eine einfache Lösung für diese Ungerechtigkeit, die derzeit ja auch massiv propagiert wird: Die Arbeiten sollen gleichmäßig unter den Geschlechtern aufgeteilt werden. Frauen sollen also ebenso wie Männer besser bezahlte Berufe übernehmen, sie sollen Managerinnen und leitende Angestellte und Unternehmerinnen sein. Und auf der anderen Seite sollen Männer in Pflegeberufe und in die Hausarbeit. Aus der »Gender«-Perspektive, um in moderner Terminologie zu reden, wäre das Problem damit gelöst. Keine Frau ist schließlich mehr dazu gezwungen, Krankenschwester zu werden, Kinder zu bekommen, die Küche zu putzen. Sie hat heute die Möglichkeit, genau wie Männer, einen anderen Weg zu wählen.

Allerdings ist damit ja nicht das Problem behoben. Denn nach wie vor ist es ja notwendig, Kranke zu pflegen, Kinder zu versorgen, Wohnungen und Büros zu putzen. Zwar wird im allgemeinen heute beteuert, dies sei nicht allein die Aufgabe von Frauen. Es wird also mit der Gleichheit argumentiert, und gerade das kann legitimieren, dass die Bedingungen, unter denen diese Arbeit geschieht, weiterhin schlecht sind oder sogar noch schlechter werden. Nehmen wir einmal an, wir hätten, der Gleichstellungspolitik sei Dank, irgendwann einmal die Situation, dass es nicht mehr ungefähr neunzig Prozent Frauen sind, die diese Arbeit erledigen, sondern nur noch fünfzig Prozent. Was aber wäre damit eigentlich gewonnen? Was wäre besser geworden, wenn es zwar nach wie vor die sozialen Hierarchien gäbe, die aus den ehemaligen Geschlechterdiskursen und der Unterordnung der Frauen heraus entstanden sind, nur dass jetzt aber reale Frauen und Männer gleichmäßig auf beiden Seiten vertreten sind? Ich kann nicht sehen, was das bringen soll.

Die Gender-Perspektive, also das statistische Aufrechnen von Männer- und Frauen-Anteilen, bringt uns hier nicht weiter. Oder, um es anders zu sagen: Möglicherweise ist es so, dass Frauen heute auch Chefs sind und Männer auch bei den Benachteiligten. Aber wenn das Anliegen der Frauenbewegung das gute Leben für alle ist, dann können wir uns damit ja nicht zufrieden geben.

Was wir brauchen, das ist nicht noch mehr Gerede über Geschlechtergleichheit, sondern mehr weiblicher Autorität. Also die Einsicht, dass das, was Frauen sagen und tun wichtig ist, und zwar auch dann, wenn sie sich nicht an die Regeln und Werte der Männer anpassen. Was passiert, wenn weibliche Autorität fehlt, zeigt das folgende Beispiel: In einem Internetforum fand ich kürzlich den Beitrag eines Bloggers namens »Franklin«, der sich über einen Vortrag mokierte, in dem ich das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern bei der unbezahlten Fürsorgearbeit behandelt hatte. Er schrieb: »Frauen ziehen also immer noch den Kürzeren. Sie müssen sich um Kinder, Alte und Haushalt kümmern (die Haustiere hat sie dabei noch vergessen). Wer sagt eigentlich, dass sie müssen? Wer zwingt sie dazu? Das Patriarchat, verkörpert durch den Herrn und Gebieter daheim?«1

»Franklin« hat hier ganz richtig eine Differenz der Geschlechter beobachtet. Er selbst hat offensichtlich ein sehr eingeschränktes Verständnis von »müssen«: Er versteht es, wie wohl viele Männer, in erster Linie als äußeren Zwang. Viele Frauen hingegen empfinden häufig Notwendigkeiten, die ihnen Pflichten auferlegen, auch wenn ein solcher äußerer Zwang nicht existiert. Eine Mutter zum Beispiel »muss« sich ja nicht deshalb um ihr Kind kümmern, weil irgendein Dritter sie dazu zwingt oder sie ansonsten Sanktionen zu befürchten hat, sondern weil die innere Logik der Situation dies erforderlich macht.

Doch über diese Differenz wird selten gesprochen. Wenn das, was Frauen sagen, keine Autorität hat, dann kommt es häufig dazu, dass ihnen vorgeworfen wird, wenn sie sich nicht genauso entscheiden, wie Männer: Sie sind, um es mit Franklin zu sagen, ja selbst daran schuld, wenn sie zum Beispiel beruflich ins Hintertreffen geraten, weil sie wegen der Kinder einige Jahre Teilzeit gearbeitet haben. Sie hätten ja nicht gemusst. Es zwingt sie ja niemand dazu. Es gibt sogar ein Buch, das heißt »Frauen, das dämliche Geschlecht », geschrieben übrigens von einer Frau, die sagt, dass Frauen selbst schuld sind, wenn sie so wenig verdienen, weil sie sich nicht genauso hart wie Männer über ihr Gehalt verhandeln.

Es ist ganz offensichtlich, dass in solchen Argumentationen weibliche Autorität nicht anerkannt wird. Es ist aber auch nicht viel besser, an dieser Stelle auf diskriminierende Strukturen hinzuweisen. Zum Beispiel zu sagen, dass aufgrund der wirtschaftlichen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen den Frauen ja gar nichts anderes übrig bleibt, als dieses oder jenes zu tun. Wichtiger wäre es, zu fragen, welche Werte, Ansichten, Wünsche und Ideen von Frauen dahinter stehen, wenn sie in ihrem Leben diese oder jene Entscheidung treffen. Dies zu thematisieren und in den öffentlichen Diskurs einzubringen, ist meiner Ansicht nach heute die vordringliche Aufgabe der Frauenbewegung.

Und in dieser Hinsicht war die Frauenbewegung bisher leider nicht sehr erfolgreich. Es ist uns zwar gelungen, unter Gerechtigkeitsaspekten eine Gleichbehandlung von Frauen durchzusetzen, aber es ist uns nicht gelungen, zu vermitteln, warum es wichtig und sinnvoll ist, Frauen zuzuhören. Vor allem Männer glauben häufig, es käme nur darauf an, Frauen nicht zu diskriminieren. Aber sie wissen nicht, warum sie darüber hinaus auch noch auf das, was Frauen sagen, hören sollen. Zum Beispiel hat man in den achtziger Jahren noch sehr darauf geachtet, Frauen zu fördern, sie etwa in Gremien zu bringen, in denen sie unterrepräsentiert sind. Heute hingegen glauben viele, sich das wieder schenken zu können. Der Genderbeauftragte kann ja auch ein Mann sein. In Frankfurt ist, wie ich gerade gehört habe, der Frauenbeauftragte des DGB tatsächlich ein Mann.

Ein anderes Beispiel ist der interkulturelle Dialog, der gegenwärtig Gefahr läuft, zu einer Angelegenheit zu werden, die konservative Männer aller Seiten unter sich ausmachen. Im Dialog mit dem Islam zum Beispiel sind fast nur männliche Akteure präsent, während Frauen nur zu Wort kommen, wenn es speziell um die Situation der Frauen im Islam geht. Dann werden von beiden Seiten Expertinnen geholt, die einen, um zu beweisen, dass Frauen im Islam benachteiligt sind, die anderen, um das zu widerlegen. Aber was sagen die Frauen eigentlich darüber, wie sie sich die Religion vorstellen? Was ihrer Ansicht nach muslimische Werte und Menschenbilder sind, ganz unabhängig von der Frage der Frauendiskriminierung? Davon hört man viel zu wenig.

Ein ähnliches Ablenkungsmanöver findet meiner Meinung nach bei den Diskussionen über Familienpolitik statt. Da wird ja häufig so getan, als sei das einzige Problem, Männer zu mehr Haus- und Familienarbeit zu überreden. So als sei das alles nur eine Frage der Quantität, der Verteilungsgerechtigkeit. In Wirklichkeit geht es aber um eine Frage der Qualität: Wie wollen wir unsere Kinder erziehen, wie wollen wir unsere Kranken pflegen, wie wollen wir unsere Alten gesellschaftlich integrieren? Und was sagen eigentlich diejenigen dazu, die seit langem Expertinnen auf diesem Gebiet sind, weil sie bis vor kurzem diejenigen waren, die diese Arbeit fast allein gemacht haben, nämlich die Frauen?

Auch darüber wird nicht diskutiert, stattdessen bekam ich kürzlich einen Tagungsflyer einer Evangelischen Akademie in die Hand, in dem es über mehrere Tage um die Zukunft der Pflege in Deutschland ging, und alle Referenten waren Männer. Das meine ich mit der Unterordnung des Weiblichen unter das Männliche trotz Emanzipation, mit dem Verschwinden der weiblichen Differenz: Wir haben so lange von der Gleichheit der Geschlechter geredet, dass wir letzten Endes die Frauen selbst für verzichtbar halten.

Wir haben politisch korrekt nicht mehr von Müttern gesprochen, sondern von Eltern, nicht mehr von Krankenschwestern sondern von Pflegekräften, nicht mehr von Erzieherinnen, sondern vom pädagogischen Personal, so dass wir tatsächlich oft vergessen, dass es sich bei denen, die all diese Tätigkeiten ausüben, ganz einfach meistens um Frauen handelt. Wir haben die Frauenbeauftragten abgeschafft und sie durch Gleichstellungsbeauftragte ersetzt, an den Universitäten lehren wir nicht mehr feministische Studien sondern Gender Studies, und statt Frauenförderung betreiben wir Gender Mainstreaming. Und auf diese Weise konnte es geschehen, dass sich plötzlich Männer auch auf diesen Gebieten für Experten halten, und glauben, auf die Stimme von Frauen verzichten zu können. Um noch einmal an die Warnung von Carla Lonzi zu erinnern: »Die Gleichheit der Geschlechter ist heute das Gewand, mit dem sich die Unterordnung der Frau tarnt.«

Und deshalb ist es sehr schön, dass Sie hier heute ein Frauenforum gründen, denn es ist in diesen Zeiten schon ein symbolischer Akt als solcher, im politischen Bereich das Wort »Frau« überhaupt wieder in den Mund zu nehmen. Und zwar nicht, um über Frauendiskriminierung und -benachteiligung zu sprechen, sondern darüber, was Frauen an Ideen, Wünschen, Energien und Kreativität in die Gesellschaft einbringen wollen.

Und zwar hoffentlich nicht so, wie das derzeit häufig zu hören ist, nämlich im Hinblick darauf, wie Frauen sich am besten für die Gesellschaft nützlich machen können. Seit vor einigen Jahren in Deutschland die neue Demografiedebatte ausgebrochen ist, heißt es: Frauen sollen mehr Kinder kriegen, sie sollen die familiären Werte hochhalten und so weiter. Dann kommen die Naturwissenschaften, die heute auch wieder im Aufwind sind, und behaupten, die weiblichen Gene, die Hirnströme, die Evolution, der göttliche Schöpfungsauftrag oder was auch immer habe den Frauen bestimmte Pflichten und Aufgaben sozusagen in die Wiege gelegt. Solche Argumentationen sind natürlich direkt gegen die weibliche Freiheit gerichtet, das ist offensichtlich, und sie werden ja auch von vielen Feministinnen mit guten Argumenten widerlegt.

Leider aber gibt es diese Art der Argumentation auch in Teilen der Frauenbewegung selbst. Es macht mir Sorgen, dass auch hier häufig mit der Nützlichkeit der Frauen für die Allgemeinheit argumentiert wird. Wahrscheinlich haben Sie auch schon einmal das Argument gehört, Unternehmen sollten mehr Frauen in Führungspositionen bringen, weil das erwiesenermaßen ein Unternehmen erfolgreicher mache. Oder dass wir mehr Kinderkrippen bauen sollen, weil der Wirtschaft ein Fachkräftemangel droht und sie die jungen, qualifizierten Frauen als Arbeitskräfte brauchen.

Das mag ja alles stimmen, ein feministisches Argument ist es aber nicht. Im Gegenteil: Auf diese Weise wird der Kampf für weibliche Freiheit direkt untergraben. Denn dieser richtet sich ja eben gerade gegen diese Nützlichkeitserwägungen. Früher waren Frauen nützlich, wenn sie Kinder bekamen und großzogen, heute sind sie nützlich als Fachkräfte für die Wirtschaft – im Prinzip ist aber beides dasselbe. Ich meine, die Botschaft müsste sein, dass es endlich nicht mehr darum gehen sollte, wie Frauen sich nützlich machen können, sondern darum, was Frauen wünschen und welche Vorstellungen vom guten Leben sie haben.

Heute müssen Frauen niemandem mehr beweisen, dass sie ordentliche und verantwortungsbewusste Staatsbürgerinnen sind. Deshalb sind wir jetzt vielleicht freier, nicht nur den braven, konservativen und »nützlichen« Feminismus zu haben, jenen Feminismus also, wie ihn Angela Merkel, Ursula von der Leyen, aber auch Alice Schwarzer vertreten, die sich damit begnügen, Frauen zu gleichen Bedingungen in die vorhandene gesellschaftliche Ordnung zu integrieren. Und uns reicht auch nicht der neue Feminismus der »F-Klasse«, dem es vor allem darum geht, Frauen bessere Karrierechancen zu verschaffen.

Ich denke immer mehr, dass es überhaupt Zeit ist, sich von feststehenden feministischen Inhalten zu verabschieden und stattdessen die Differenzen unter Frauen wichtiger zu finden. Viele Frauen engagieren sich für die weibliche Freiheit, aber sie sind sich ja keineswegs darüber einig, wie dieser Weg aussehen soll. Die Frauen, die sich in einem Business-Netzwerk organisieren, haben völlig andere Interessen und Anliegen als eine Müttergruppe. Muslimische Theologinnen haben ganz andere Ansichten, als säkulare Türkinnen. Lesbische Queer-Theoretikerinnen sind sich überhaupt nicht einig mit Frauen, die sich für matriarchale Lebensformen begeistern. Und doch sind sie alle Feministinnen. Frauen haben keine gemeinsamen Interessen, denn es sind ja Menschen, und was die Menschen auszeichnet, dass ist nun einmal ihre Pluralität, über die sie im politischen Raum miteinander verhandeln.

Wenn das Hauptziel der Frauenbewegung nicht ist, spezielle Fraueninteressen zu vertreten, sondern für weibliche Freiheit in einem umfassenden Sinn einzutreten und gegen die Unterordnung des Weiblichen unter das Männliche, dann macht das auch gar nichts. Dann sind die Differenzen der verschiedenen Richtungen des Feminismus kein Problem, sondern im Gegenteil eine Quelle für fruchtbare Auseinandersetzungen. Für die Diskussionen, bei denen vielleicht Lösungen herauskommen für die gesellschaftlichen Probleme, mit denen wir es zu tun haben. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen für Ihr Frauenforum viele interessante, kontroverse Diskussionen und Debatten, in denen die unterschiedlichen Erfahrungen, Voraussetzungen und Wünsche, die Sie hier alle mitbringen, fruchtbar werden. Denn wir müssen ja nicht meinen, dass die Lösung der Probleme leicht sein wird, dass wir hier, bloß weil wie Frauen sind, das gute Leben für alle so einfach aus dem Ärmel schütteln können.

Frau Gemünden hat mich gebeten, zum Schluss meines Vortrags die vier wichtigsten Themen zu benennen, die aus meiner Sicht für ein lokales Frauen Forum wie hier in Bad Kreuznach wichtig sind. Dem will ich gerne nachkommen.

Erstens: Freuen Sie sich, wenn sie unterschiedlicher Meinung sind. Sie kommen wahrscheinlich aus vielen verschiedenen Zusammenhängen, kulturellen Hintergründen, haben unterschiedliche Geschichten und Erfahrungen. Diese Unterschiedlichkeit ist kein Problem, sondern ein Reichtum. Nehmen Sie die Konflikte, die sich daraus ergeben, ernst. Diskutieren Sie miteinander und arbeiten Sie an einer Kultur, die einen guten Rahmen dafür bietet, die jeweils eigenen Meinungen anderen zu vermitteln, ohne Angst vor der Meinung der Mehrheit. Damit stärken Sie weibliche Autorität: wenn sie zum Beispiel öffentlich sagen: das, was diese andere Frau sagt, finde ich zwar nicht richtig, aber ich finde es wichtig, dass sie sich zu Wort meldet und Gehör findet.

Zweitens: Verschwenden Sie keine Kraft damit, sich auf gemeinsame Stellungnahmen zu einigen. Dabei kommt doch nur immer ein langweiliger kleinster gemeinsamer Nenner heraus. Wichtig ist nicht, dass Sie mit einer Stimme sprechen, sondern dass in Bad Kreuznach möglichst viele Frauen sich als Teil der Frauenbewegung verstehen und Feministinnen sind. Dass viele Frauen klar und selbstbewusst Stellung beziehen in den konkreten Situationen, in denen sie sich engagieren. Dabei drücken sie sich nicht vor eindeutigen Urteilen. Aber für diese Urteile stehen sie als Personen ein, nicht als Repräsentantinnen eines Geschlechts oder einer Bewegung.

Drittens: Pflegen Sie die Beziehungen untereinander. Feministinnen agieren auch dann, wenn sie unterschiedlicher Meinung sind, nicht vereinzelt. Die Basis des Feminismus sind die Beziehungen unter Frauen. Konkrete Beziehungen zwischen Frauen, die miteinander sich darüber verständigen, was das heute sein soll, eine Frau, und wie gutes Leben für alle Menschen aussehen könnte. Dass Sie mit diesem Forum einen Ort für solche Beziehungen stiften, ist ein sehr wichtiger Schritt.

Viertens: Tragen Sie das, was sie hier miteinander erarbeiten, bewusst auch in die gemeinsame Welt von Frauen und Männern zurück. Auch hier ist wahrscheinlich der Weg der konkreten Beziehungen der beste. Organisieren Sie den Dialog mit Männern, und zwar nicht mit den Männern als homogene Gruppe, sondern mit denjenigen Männern, von denen Sie annehmen, dass sie sich für das Denken von Frauen interessieren. Zum Beispiel jungen Vätern, denen die Arbeit zu wenig Zeit für ihre Kinder lässt, oder mit Ihren Kollegen in Gremien oder sozial engagierten Männern, die sich ebenfalls eine bessere Welt wünschen. Dieser vierte Schritt ist wahrscheinlich der schwerste, weil wir in dieser Hinsicht noch nicht viele Erfahrungen haben. Möglicherweise erleben Sie dabei auch Enttäuschungen. Tauschen Sie sich über diese Erfahrungen aus, vielleicht erfinden sie ja neue Wege, von denen dann auch andere Frauen lernen können.

Seien Sie also gespannt darauf, wie sich das alles entwickelt. Der Feminismus ist immer für eine Überraschung gut. Wohin die Liebe der Frauen zur Freiheit führt, das lässt sich nicht vorhersagen, denn sie basiert auf dem Begehren der Frauen, das für die Zukunft offen ist, erfinderisch, neugierig auf Neues. Ich wünsche Ihnen auf diesem Weg alles Gute.

Vortrag zur Gründung des Bad Kreuznacher Frauenforums, 7.8.2008

  • – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –