Antje Schrupp im Netz

Frauen machen Gesellschaft

Lila Pause? Von Wegen! Warum Feminismus immer noch wichtig ist

Vom weiblichen Begehren ist heute leider nicht sehr oft die Rede. Es scheint, als ob die Welt nicht danach ist. Sie ist sozusagen nicht sehr rosig. Deshalb meinen viele, es geht heute nicht darum, die Freiheit der Frauen voran zu treiben. Sondern darum, dass die Frauen die Welt retten müssen.

Die einen fordern die Frauen mehr oder weniger unverblümt auf, sich wieder mehr um ihre Familie zu kümmern. Die Emanzipation sei ein Irrtum oder eine Falle gewesen, jetzt werden angeblich ur-weibliche Fähigkeiten wieder gefragt. Frauen sollen also nicht Karriere machen, sondern viele Kinder kriegen und den vom rauen Arbeitsmarkt gebeutelten Männern einen heimischen Rückzugsort zu schaffen, wo sie sich wieder regenerieren können. Eva Herrman, Susanne Gaschke, Frank Schirrmacher zum Beispiel gehen in diese Richtung. Aber halt! Rufen da die anderen. So geht das nicht, heute, in globalisierten Zeiten. Studien haben gezeigt, dass unsere Wirtschaft nicht konkurrenzfähig ist, wenn das Top-Management weiterhin rein männlich besetzt bleibt. Also sollen Frauen jetzt mal endlich ihre Skrupel gegen die konkurrenzorientierte Arbeitswelt begraben, nicht immer so zimperlich sein und sich in die Vorstandsetagen vorkämpfen – das schreiben zum Beispiel Barbara Bierach und Heiner Thorborg in ihrem gerade erschienenen Buch »oben ohne«.

Es herrscht also eine gewisse Uneinigkeit darüber, wie genau das Projekt »Frauen retten die Welt« vonstatten gehen soll. Das Gute an all diesen Diskussionen ist, dass heute in Deutschland wieder über den Feminismus diskutiert wird. Das immerhin ist das Verdienst von Eva Herman. Mit ihrem gegen den Feminismus gerichteten Buch hat sie nämlich bewirkt, dass die deutsche Gesellschaft sich sozusagen auf die Erfolge der Frauenbewegung besinnt. Für ihre Thesen bekam sie ja praktisch keine Unterstützung. Nicht nur Linke und ausgewiesene Feministinnen kritisieren ihr altbackenes Frauenbild, sondern auch Konservative. Soviel ist jetzt also klar: Zurück zu den patriarchalen Zeiten vor der Frauenbewegung will niemand. Wohin aber wollen wir?

Die Frauenbewegung, so bleibt festzuhalten, war die erfolgreichste politische und soziale Bewegung, die unsere Gesellschaft je erlebt hat. Und vielleicht hatten wir es uns ein bisschen zu gemütlich gemacht mit all dem Erreichten: Das Verhältnis der Geschlechter hat sich im letzten Jahrhundert sehr verändert. Das Bekenntnis zur Gleichberechtigung gehört in das politische Ritual selbst konservativer Zeitgenossen. Gender-Mainstreaming, also die Überprüfung aller politischen Vorhaben auf ihre Folgen für Frauen und Männer hin, ist eine staatliche Vorgabe geworden.

Und all das wird heute auch nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt. Die Reaktionen auf Eva Hermans Buch waren in dieser Hinsicht sehr interessant. Die meisten sagten doch: Ja, mit ihrer Kritik an den Folgen der Emanzipation hat sie durchaus an manchen Punkten recht – nur ihre Schlussfolgerungen sind falsch.Es scheint, als stellen wir derzeit fest, dass Emanzipation alleine nicht reicht.Und wenn ich mir dann solche wirtschaftsliberalen Emanzipationsvertreterinnen anschaue, deren höchstes Ziel es ist, dass Frauen auch Top-Managerinnen werden, dann muss ich dem als Feministin entgegenhalten, dass die Gleichstellung der Frauen mit den Männern für mich kein Zweck an sich ist. Denn eine Gesellschaft, in der Frauen zwar gleichgestellt und nicht diskriminiert sind, in der aber sonst nicht viel funktioniert, die ist doch nicht erstrebenswert.

Und so ist manche Kritik am »Emanzipationismus« durchaus berechtigt. Frauen haben heute zwar gleiche Rechte und sind in wichtigen Schlüsselpositionen. Aber gleichzeitig wächst die soziale Ungleichheit, die Schere von arm und reich. Frauen übernehmen immer mehr wichtige Positionen in den Medien, gleichzeitig sind die Medien immer weniger eine kritische Kraft. Allerorten bekennt man sich zu weiblichen Kompetenzen wie Beziehungsfähigkeit, emotionaler Intelligenz, der Wichtigkeit von Kommunikation, gleichzeitig erleben wir Vereinsamung, um sich greifende Skrupellosigkeit in wirtschaftlichen Belangen, wird es immer schwieriger, soziale oder familiäre Bindungen einzugehen. Erhofft hatten wir uns doch eigentlich etwas anderes. Am Beginn der Gleichstellungsbewegung waren viele der Überzeugung, dass allein die Präsenz von Frauen zu Verbesserungen führen würde, zu einer gerechteren, sozialeren Welt für alle. Das ist aber offensichtlich nicht der Fall. Woran liegt das? Ist diese »Krise der Emanzipation«, wenn ich das mal so nennen möchte, wirklich auch gleichzeitig eine Krise des Feminismus? Ich glaube nicht.

Wenn in den Medien heutzutage Emanzipation und Feminismus einfach gleichgesetzt werden, dann steht das ja in einem merkwürdigen Widerspruch zu dem, was die Mehrheit der Frauen denkt. Gerade die jüngeren unter ihnen sagen ja oft sehr dezidiert, dass sie es zwar gut finden, dass Frauen heute emanzipiert und gleichberechtigt sind. Aber Feministinnen sind sie keine.

Sie sind also ganz offensichtlich der Meinung, dass es Emanzipation ohne Feminismus geben kann. Und damit haben sie Recht. Es gibt in der Tat viele Beispiele für Emanzipation ohne Feminismus, denken wir nur an die so genannten real-sozialistischen Länder, in denen die Gleichstellung der Frauen von oben verordnet war. Oder an die Versuche, westliche Gleichheitsvorstellungen, notfalls auch mit Kriegen, in andere Länder zu exportieren. Ein anderes Beispiel ist die Idee, das Bekenntnis zur Gleichberechtigung sollte ein Kriterium für die Integrationswilligkeit von Migranten und Migrantinnen sein. Das alles ist Emanzipation, die mit Feminismus nichts zu tun hat.

Der Unterschied ist folgender. Der Emanzipation geht es um die Gleichstellung der Frauen mit den Männern: Sie fragt: Haben Frauen dieselben Rechte, sind sie in gleicher Zahl in bestimmten Positionen präsent, haben sie dieselben Chancen und Möglichkeiten? Dem Feminismus hingegen geht es um die weibliche Freiheit in einem viel umfassenderen Sinn. Hier steht nicht der Vergleich mit den Männern im Zentrum, sondern das Begehren der Frauen selbst. Die roten Rosen also.

Deshalb glaube ich auch nicht, dass mit der Emanzipation der Feminismus überflüssig geworden wäre.Das genaue Gegenteil ist der Fall. Ich glaube, dass gerade in einer Gesellschaft, in der Frauen nicht nur rechtlich gleichgestellt sind, sondern auch faktisch Einfluss haben, der Feminismus wichtiger ist, denn je.

Und zwar weil es auch trotz Gleichberechtigung und Emanzipation in dieser Gesellschaft und in der Welt noch eine Menge Probleme gibt. Und weil, davon bin ich überzeugt, die Frauenbewegung und der Feminismus Antworten anzubieten haben auf diese gesellschaftlichen Probleme. Je mehr Möglichkeiten und Einfluss Frauen in der Welt haben, umso größer ist auch ihre Verantwortung, umso wichtiger ist, was sie tun und lassen, was Frauen denken und sagen, wie sie handeln. Umso wichtiger ist also auch der Feminismus, nämlich die Reflektion über das Frausein.

Es gibt, zumindest in unseren emanzipierten Gesellschaften, keine klaren Rollenzuweisungen an Frauen mehr, an die wir uns anpassen oder gegen die wir rebellieren könnten. Eine Frau, die Karriere macht, wird von den einen gelobt, von den anderen angegriffen. Gleiches gilt für eine Frau, die ihre Berufstätigkeit wegen Kindern unterbricht. Jede Frau muss also zu einem eigenen Urteil kommen. Welche Antworten hat der Feminismus auf die großen gesellschaftlichen Fragen unserer Zeit anzubieten?

Es sind vor allem zwei Themenkomplexe, die meiner Meinung nach derzeit besonders aktuell sind.

Erstens: Das Ende der Erwerbsarbeitsgesellschaft, die Auflösung klassischer Berufsbiografien und die damit verbundene Bedrohung der gewohnten sozialen Absicherung und damit zusammenhängend all die Diskussionen um Hartz IV, die älter werdende Gesellschaft, die Geburtenentwicklung, die Bildungsmisere, die Frage nach Lebenssinn, den Beziehungen der Generationen und so weiter.

Zweitens: Die Notwendigkeit, zu einem neuen, sinnvollen Umgang mit dem Anderen, dem Fremden zu kommen in Zeiten, wo die Gesellschaft in immer mehr Minderheitskulturen auseinander fällt. Hierzu gehören die Diskussionen um den Islam, die Suche nach einer Leitkultur, die Frage, wie wir gemeinsam eine Gesellschaft bilden können angesichts gegensätzlicher Kulturen, Meinungen, Weltanschauungen.

Diese beiden Problemstellungen werden nicht zufällig in der öffentlichen Diskussion oft als »Frauenfragen« diskutiert: Beim ersten Punkt unter dem Stichwort Vereinbarkeit von Beruf und Familie bzw. der Frage, wie viele Kinder Frauen bekommen. Beim zweiten Punkt im Hinblick auf die Unterdrückung muslimischer Mädchen und Frauen und unter dem Stichwort »Kopftuchfrage«.

Beiden Themenfelder verweisen darauf, dass die alte patriarchale Ordnung nicht mehr Funktioniert. Fadela Amara beschreibt das sehr schön in ihrem Buch »Weder Huren noch Unterworfene«, in dem sie der Frage nachgeht, warum sich die Situation der muslimischen Mädchen in den französischen Vororten seit Anfang de 90er Jahre so extrem verschlechtert hat, warum die sexistische Gewalt gegen sie zugenommen hat und ihre Bewegungsfreiheit immer weiter eingeschränkt wird. Sie schreibt: »Diese Verschlechterung fiel in eine Zeit der Massenarbeitslosigkeit, die sich in den Banlieues verheerend auswirkte. Die Einwanderer waren die ersten, die entlassen wurden und die Väter standen ohne Arbeit, ohne sozialen Status da. Dieser erzwungene Wechsel von der Fabrik in die Untätigkeit veränderte das hierarchische Gefüge in den Familien völlig und erschütterte die Autorität der Väter nachhaltig. Bisher war ihnen jegliche Entscheidungsgewalt vorbehalten, sie bestimmten die Regeln des Zusammenlebens und schlichteten Konflikte zwischen Brüdern und Schwestern. Durch die Arbeitslosigkeit verloren die Väter all diese Vorrechte, die nun an die ältesten Söhne übergingen. Die Väter wurden so ihres Platzes beraubt.«[1]

Dies ist eine exakte Beschreibung des Verfalls einer alten Ordnung, der patriarchalen Ordnung nämlich, der Herrschaft des Vaters. Die Autorität des Vaters ist verschwunden. Der Übergang der Kontrolle von den Vätern an die Brüder ist aber nicht einfach der Übergang der Kontrolle von einem Mann an den anderen und damit einfach nur das Patriarchat in neuem Gewand. Sondern es ist etwas anderes, etwas Neues.

Das Patriarchat war eine Ordnung, zwar eine schlechte, aber eine Ordnung, die Beziehungen regelte und strukturierte, wenn auch in Abwesenheit der weiblichen Freiheit, weshalb wir zu Recht dagegen gekämpft haben. Aber die Brüderherrschaft ist keine Ordnung mehr, es ist Unordnung. Es gelingt ihr gerade nicht , Beziehungen zu ordnen und zu strukturieren, nicht einmal schlecht, im Gegenteil: Beziehungen zwischen Frauen und Männern, zwischen Eltern und Kindern werden systematisch zerstört, es herrscht Heuchelei, Lüge, pure Gewalt. Denn die Brüder haben zwar die Macht der Väter an sich gerissen, sie haben aber nicht deren Autorität. Sie werden gefürchtet, nicht respektiert.

Ich möchte daran erinnern, dass auch die heute emanzipierten Gesellschaften eine ähnliche Entwicklung durchlaufen haben, wenn auch ein paar Jahrzehnte früher. Die Massenarbeitslosigkeit und der hierdurch bewirkte Autoritätsverlust des Vaters, der seine ureigene patriarchale Aufgabe, nämlich für Frau und Kinder zu sorgen, nicht mehr erfüllen konnte, führten hier ebenfalls zu gewalttätigen und zerstörerischen Selbstbehauptungen des Männlichen, nämlich dem Faschismus und dem Nationalsozialismus. Und wenn wir heute einen Blick in die deutschen Teile der Gesellschaft werfen, die besonders von Massenarbeitslosigkeit geplagt, bestimmte Regionen in Ostdeutschland oder im Ruhrgebiet etwa, dann fällt ja auch hier die Zerstörungswut und Sinnlosigkeit der jungen Männer, die keinen positiven, konstruktiven Zugang zu ihre Männlichkeit finden können, auf der Hand.

Ich glaube deshalb nicht , dass es sich hierbei um einen Kampf der Kulturen oder der Religionen handelt. Es ist vielmehr das Problem einer zusammengebrochenen Ordnung, an deren Stelle noch keine neue Ordnung getreten ist, sondern Chaos und Unordnung.

Ich bin überzeugt, dass die Freiheit der Frauen geradezu im Zentrum der Lösung all dieser Dinge steht. Denn Frauen untereinander haben in vielerlei Hinsicht bereits neue Kulturen entwickelt – angefangen von scheinbaren Äußerlichkeiten wie der Gestaltung von Räumlichkeiten über ihr Gesprächsverhalten bis hin zu den Themen, die sie für wichtig erachten – und sie haben auch viel theoretisch gearbeitet, die männerzentrierte Geschichte hinterfragt, neue philosophische Ansätze erfunden und so weiter.

Allerdings müssen wir uns auch selbstkritisch fragen, warum das bislang so wenig gesellschaftlich sichtbar geworden ist. Frauen haben zwar Zugang zu Institutionen und Politik, aber sie spielen dort meist nach männlichen Regeln mit. Frauen haben zwar längst neue Kriterien für das Zusammenspiel von Familien- und Erwerbsarbeit entwickelt und richten sich selbst oft danach, es ist aber noch nicht wirklich gelungen, auch die Männer davon zu überzeugen. Das ist ein wirkliches Problem.

Ich glaube, das liegt unter anderem daran, dass uns im Zuge der Emanzipation auch der Begriff des Frauseins selbst entglitten ist. Wenn nicht klar ist, was überhaupt das Frausein ausmacht, dann kann man auch nur schwer über das sprechen, was eine weibliche Kultur ausmacht.

Also: Was bedeutet es heute überhaupt noch, eine Frau zu sein? Darüber besteht großes Rätselraten.

Die beiden traditionellen Antworten, die in der Frauenbewegung seit jeher miteinander im Streit liegen – unter dem Stichwort Gleichheit versus Differenz – sind offenbar nicht mehr attraktiv, vor allem nicht für junge Frauen.

Weder möchten sie sich denen anschließen, die die Tatsache, dass es Frauen gibt, schlicht für eine gesellschaftliche Konstruktion halten, die es zu dekonstruieren gilt, und deren Ziel eine Auflösung, gar eine Abschaffung der Geschlechter ist hinzu einem allgemein Menschlichen, das sich nur noch in individuelle Unterschiede aufgliedert. Die Versuchung des Neutrums, hat das die italienische Philosophin Wanda Tommasi einmal genannt. Auf der anderen Seite, und vielleicht als Gegenbewegung dazu, ist aber auch eine klischeehafte Betonung der Weiblichkeit in Kleidung, Verhalten, Gestus wieder in, nicht nur bei Eva Herman. Also der Biologismus, wonach die Tatsache des Frauseins aus der Evolution, den Genen, den Hirnströmen oder was weiß ich hergeleitet wird. Auch dies ist aber nicht wirklich verlockend, denn wer will schon in der eigenen Freiheit dermaßen eingeschränkt sein.

Was aber dann? Damit die Lösungen, die der Feminismus und eine freie weibliche Kultur für die gesellschaftlichen Probleme anzubieten haben, auch als solche in der Gesellschaft wirken und ihr nützlich sein können, brauchen wir ein neues, freies Verständnis der sexuellen Differenz, das über die Alternative Gleichheit versus Biologismus hinaus geht.Ein Verständnis vom Frausein, das sich an der Freiheit orientiert und nicht an der Abgrenzung oder Angleichung zum Mannsein. Frauen sind nicht von ihrer Biologie, ihrer Erziehung, ihren Genen und Hirnströmen festgelegt, auch wenn das alles immer eine Rolle spielt, weil wir als Menschen eben mit einem Körper und einer Geschichte ausgestattet sind und davon geprägt sind. Aber trotzdem sind Menschen frei, zu handeln. Und ihr Frausein ist dabei keineswegs bedeutungslos – nur dass diese Bedeutung ebenfalls frei ist, das heißt, sie steht nicht von vornherein und unverrückbar fest. Sondern wir selbst sind es, die durch unser Handeln und Sprechen jeweils dem Frausein eine Bedeutung geben (oder auch nicht).

Das ist genau die Kernfrage des Feminismus: Wie handeln wir, die wir Frauen sind, in dieser Welt angesichts der Probleme, die sich stellen? Wie nehmen wir unsere Verantwortung wahr, heute, wo wir, der Frauenbewegung sei Dank, Zugang zu allen gesellschaftlichen Bereichen haben? Wie entscheiden wir uns heute, wo der Lebensweg einer Frau nicht mehr fremdbestimmt und gerade vor ihr liegt? Und wo finden und stärken wir die weibliche Autorität, die uns mit ihrer Weisheit, ihrer Erfahrung, ihrem Rat hilft, all diese Entscheidungen zu treffen und so die Welt und diese Gesellschaft zu gestalten?

Oder anders gefragt: Heute, wo Frauen alles dürfen und können, stellt sich deutlicher als früher die Frage: Und was wollen sie?

Ich möchte diese Frage ganz einfach beantworten. Frauen wollen:

  1. etwas anderes als Männer und

  2. etwas anderes als andere Frauen

Zunächst zu Punkt 1:

Frauen wollen etwas anderes als Männer

Um ein derzeit aktuelles Thema zu nehmen, die Diskussion um – angeblich – sinkende Kinderzahlen und die Geburtenrate, dann heißt das zum Beispiel: 11 Prozent aller Frauen im gebärfähigen Alter sagen, sie wollen keine Kinder haben, aber 26 Prozent aller Männer der gleichen Altersstufe.

Würde man die These, dass Frauen etwas anderes wollen als Männer, außer Acht lassen, könnte man natürlich einfach sagen: 18 Prozent aller Menschen wollen keine Kinder. Es fällt ins Auge, dass das ein schiefes Bild ergäbe, weil es weder die Wünsche der Männer noch die der Frauen adäquat ausdrückt. Trotzdem wird bei vielen politischen Themen so vorgegangen.

Nun, bei der Geburtenrate allerdings nicht, weil hier die Relevanz dieser Unterscheidung evident ist. Es geht aber auch bei jedem anderen Thema: 18 Prozent der Frauen interessieren sich für die Fußball-Bundesliga, aber über 50 Prozent der Männer. Mehr Frauen als Männer studieren humanistische Fächer, bei den Naturwissenschaften ist es anders herum. Viel mehr Frauen als Männer machen Hausarbeit. Viel, viel mehr Männer als Frauen nehmen sexuelle Dienstleistungen in Anspruch. Frauen lesen mehr Belletristik, Männer mehr Sachbücher oder gar nichts. Muslimische Mädchen machen viel bessere Schulabschlüsse als muslimische Jungen. Und so weiter, und so weiter.

Also, wie interpretieren wir diese Befunde? Man könnte natürlich auf die alte Erklärung zurückgreifen, dass das etwas mit der Biologie zu tun hat. Man könnte sagen, Frauen haben ein Mutterschaftsgen oder sie denken weniger rational als Männer oder dergleichen.

Eine andere beliebte Erklärung ist die Erziehung, die Sozialisation. Man könnte also sagen, weil Frauen von klein auf mit Puppen gespielt haben und Männer nicht, wollen sie mehr Kinder.

Ob dies so ist oder nicht und in welchem Ausmaß, darüber lässt sich lange streiten, aber ich möchte hier die Aufmerksamkeit auf einen anderen Punkt richten: Auch wenn wir davon ausgehen, dass jede Frau, wie auch jeder Mann, nicht im luftleeren Raum schwebt, sondern in einer bestimmten historischen Situation lebt und geprägt ist von deren Werten, auch wenn jede Frau, wie auch jeder Mann, einen Körper hat, der sie in Zeit und Raum festhält und ihr Handeln prägt und beeinflusst, so ist doch weder der eine noch der andere Faktor allein ausschlaggebend für das, was sie oder er tut. Es gibt immer auch einen Anteil, der abhängt vom eigenen Urteil, vom persönlichen Begehren, von den eigenen Entscheidungen. Und auf die kommt es an. Wir sollten also der Idee einen Raum geben, dass dort, wo Frauen etwas anderes tun und wollen als Männer, sich neben allen Konditionierungen und Biologismen auch weibliche Freiheit niederschlägt.

Und wenn man das tut, dann ist es doch eine sehr interessante Beobachtung, wenn wir feststellen müssen, dass die gesellschaftliche Realität meist sehr viel mehr den Wünschen der Männer entspricht, als denen der Frauen.

Ungefähr 30 Prozent aller Menschen bleiben kinderlos, was sehr viel näher bei dem Wunsch der Männer als bei dem der Frauen liegt. Teilzeitarbeit ist – vor allem in qualifizierten Berufen – schwer zu ergattern. Und so weiter und so fort.

Manchmal wird diese Übereinstimmung der Realität mit den Wünschen der Männer sogar noch den Frauen selbst angelastet. Frauen studieren die falschen Fächer, deshalb machen sie keine Karriere. Frauen wollen nur Teilzeit, da brauchen sie sich nicht zu wundern, dass das mit dem Geldverdienen nix wird und so weiter. Oder, um es mit Barbara Bierach zusagen: Frauen sind »das dämliche Geschlecht« – so hat sie allen Ernstes eines ihrer Bücher betitelt.

Und das, obwohl es doch aus vielerlei Gründen wünschenswert wäre, wenn das Wollen der Frauen mehr zum Zuge käme: Aus demografischen Gesichtspunkten werden zu wenige Kinder geboren, ist die Erwerbsarbeitsgesellschaft am Ende und so weiter.

Die politische Frage lautet also, wie dem Wollen der Frauen zu mehr Bedeutung verholfen werden kann – und zwar nicht im Interesse der Frauen, sondern in dem der gesamten Gesellschaft?

Frauen wollen etwas anderes, als andere Frauen

Und für diese Frage nun ist die 2. These von entscheidender Bedeutung: Frauen wollen etwas anderes, als andere Frauen.

Im Bezug auf die Kinderfrage heißt das zum Beispiel: Manche Frauen wollen keine Kinder, andere wollen eines, wieder andere zwei, noch andere drei, vier oder fünf. Viele Frauen wollen diese Kinder zusammen mit einem Mann großziehen, andere aber auch allein oder zusammen mit einer anderen Frau. Im Bezug auf das Berufsleben wollen die einen Karriere machen, die anderen Teilzeit arbeiten, legen wieder andere mehr Wert auf den Sinn der Arbeit, als auf Geld. Manche Musliminnen wollen partout ein Kopftuch tragen, andere tragen es, um sich mehr Bewegungsfreiheit zu verschaffen ohne mit ihrer Familie brechen zu müssen, wieder anderen ist es egal und manche sagen dem Kopftuch den Kampf an.

Faktisch aber wird diese Vielfalt der weiblichen Lebensmodelle nicht akzeptiert. Vielmehr richtet sich alles, die Debatte ebenso wie die politischen Maßnahmen, auf das aus, was man meist mit »die Frauen« bezeichnet. Was oder wer soll das aber sein, »die Frauen«?

Im Bereich der Familienpolitik etwa wird nach wie vor die konfektionierte Vater-Mutter-zwei-Kinder-Familie idealisiert. Diese wird größtmöglich gefördert und ideologisch propagiert. Die Entscheidung für Kinderlosigkeit hingegen wird ebenso kritisiert wie die für eine Vielzahl von Kindern stigmatisiert. Alleinerziehende bekommen vergleichsweise wenig Unterstützung, lesbische Paare mit Kinderwunsch sogar allerlei Hürden in den Weg gelegt.

Der Fehler liegt hier – wie bei vielen anderen politischen Themen auch – in der Vorstellung, es gebe ein allgemeines Kollektiv der Frauen, die alle dasselbe wollen oder zumindest wollen sollten. Und dann wird heftig gestritten, nicht darüber, wie wir es erreichen, dass jede Frau das tun kann, was sie für richtig hält, sondern darüber, was eine anständige Frau zu tun hat.

Dem politischen Wollen von Frauen eine Bedeutung zu geben, heißt aber gerade nicht, dass alle Frauen über einen Kamm geschert werden, sondern dass sie sich in ihrer Unterschiedlichkeit entfalten, und das heißt auch miteinander streiten, voneinander lernen, sich gegenseitig Mut machen oder sich gegenseitig kritisieren. Die Konfektions-Durchschnittsfrau ist keine relevante politische Größe.

Man könnte das jetzt auch in vielen anderen Bereichen anwenden. Zum Beispiel im Hinblick darauf, wie die Erwerbsarbeit zu organisieren ist. Hier lässt sich feststellen, dass Frauen im Schnitt weniger Stunden arbeiten wollen, dass sie mehr Wert auf eine gute Arbeitsatmosphäre legen und dafür weniger Wert auf Geld, dass ihnen der Sinn der Arbeit wichtig ist, dass sie neben der Erwerbsarbeit auch Kapazitäten für Hausarbeit, Fürsorgearbeit, Ehrenamt haben wollen und so weiter.

Es wäre auch hier unbestreitbar gut – angesichts der Krise der Erwerbsarbeitsgesellschaft – wenn dieses Wollen der Frauen politisch Gehör fände. Aber auch hier ist das nur möglich, indem die unterschiedlichen Wege akzeptiert und ermöglicht werden, der der Karrierefrau ebenso wie der der Hausfrau oder der Teilzeitfrau.

Das Wollen der Frauen – das sich in fast allen Bereichen von dem der Männer unterscheidet – darf also nicht wegdiskutiert oder wegerklärt werden. Und es darf auch nicht durch Umerziehungsmaßnahmen einem angeblich weiblichen Idealbild angeglichen werden, weder einem feministischen, noch einem patriarchalen. Das Wollen der Frauen äußert sich nicht in gemeinsamen Parolen und Programmen, sondern darin, dass Frauen sich persönlich, in erster Person, in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen.

Das heißt: Sie diskutieren mit Männern über ihre Wünsche und machen dabei deutlich, dass es hier unter Umständen andere Prioritätensetzungen, Erfahrungen und Perspektiven geht. Sie weisen Männer in die Schranken, wenn diese beanspruchen, im Namen der gesamten, neutralen Menschheit zu sprechen. Sie machen deutlich, dass auch jede Frau im Namen der gesamten Menschheit spricht.

Und das heißt auch: Sie diskutieren mit anderen Frauen darüber, was Frausein heute in dieser Welt bedeuten soll. Sie streiten sich über ihre unterschiedlichen Urteile und Wege. Sie diskutieren auch öffentlich darüber – und machen deutlich, dass es sich hier um eine Debatte unter Frauen handelt mit dem Ziel, neue Ideen, Wege und Vorschläge für die ganze Welt zu erarbeiten und dieser anzubieten. Ein solcher, bewusst geführter Frauendiskurs, der die Differenzen zwischen Frauen sichtbar und relevant macht, wird die weibliche Autorität nicht schwächen, sondern stärken. Ein solcher bewusster Dialog darüber, was Frauen wollen, ist wichtig, um die Bedeutung des weiblichen Handelns in der Welt sichtbar zu machen.

Aber er ist auch wichtig, um das eigene Tun zu reflektieren. Denn nicht alles, was Frauen mehrheitlich wollen, ist auch GUT. Dass mehr Frauen als Männer diese und jenes wollen, ist nicht automatisch ein Beweis dafür, dass dies richtig oder im Interesse der Gesellschaft ist, nicht einmal im Interesse der Frauen. Denn es sind gerade die Abweichlerinnen, also diejenigen, die sich gegen die Mehrheitsmeinung ihrer Geschlechtsgenossinnen stellen, die die weibliche Freiheit erweitern können.

Das, was Frauen mehrheitlich wollen oder gut finden, ist ja auch nicht unveränderlich. Es ist eine ständige Diskussion. So kann es durchaus sein, dass in einigen Jahren auch die Hälfte aller Frauen sich für Bundesliga interessiert. Oder genauso wenig Kinder bekommen möchte, wie die Männer. Veränderungen in der weiblichen Kultur gehen immer von einigen aus, die vom weiblichen Mainstream abweichen und ihn in Frage stellen. Den Mädchen, die Fußball spielten, obwohl das ein Männersport war. Den Frauen, die Mathematikerinnen wurden, obwohl sie es da ausschließlich mit Männern zu tun hatte. Denen, die für die Straffreiheit von Abtreibung kämpften und für eine freie Sexualität. Denn man darf ja nicht vergessen, dass solche Pionierinnen meistens nicht nur die Männer und die Traditionen, sondern auch die Mehrheit der anderen Frauen gegen sich haben.

Es sind also genau die »Abweichlerinnen«, die weibliche Freiheit befördern. Deshalb ist mir auch sehr mulmig, wenn behauptet wird, Frauen würden männliche Verhaltensweisen übernehmen, nur weil sie nicht das sind, was man für »typisch weiblich« hält. Meiner Meinung nach ist es gar nicht möglich, dass eine Frau »männlich« wird. Denn allein deshalb, weil sie, eine Frau dieses oder jenes tut, ist dieses oder jenes eben weiblich.

Ein Hosenanzug, von einer Frau getragen – und wäre es auch die erste, die das tut – ist nicht mehr ein männliches Kleidungsstück, sondern durch ihre freie Tat zu einem weiblichen Kleidungsstück geworden. Mit ihrem Mut, ihrem Wagnis, ihrer Zielstrebigkeit machen gerade die Abweichlerinnen neue Wege für alle Frauen möglich. Und manchmal führt das eben dazu, dass diese neuen Wege zum Mainstream werden, weil viele, viele andere Frauen folgen. So wie das in den letzten Jahren nicht nur mit dem Hosentragen passiert ist.

Die ideale feministische Welt, wenn man so will, ist keine, in der Frauen dasselbe machen, wie Männer. Und sie ist auch keine, in der alle Frauen dasselbe machen. Sondern eine, in der Frauen – möglichst viele Frauen – das machen, was sie selbst wollen. Den Weg gehen, wohin ihr eigenes Begehren sie zieht. Eine Welt, in der Frauen miteinander darüber streiten, auch konfliktreich, was gutes Leben ist. Eine Welt, in der weibliche Autorität anwesend ist und geschätzt wird, auch dann, wenn sie andere Maßstäbe setzt, als die männlichen Autoritäten und Machthaber – oder auch Machthaberinnen.

Haben wir heute so eine Welt? Manchmal ja und manchmal nein. Es gibt viele Beispiele dafür, dass Frauen heute auf diese freie Weise die Gesellschaft prägen: Frauen, die auf der Spur ihres eigenen Begehrens bleiben, ob es sie nun auf den Chefsessel führt oder in die Schule, an den heimischen Herd oder in die Autowerkstatt oder eben ins Bundeskanzlerinnenamt. Immer dann, wenn Frauen nicht einfach nur die Erwartungen anderer erfüllen wollen, sondern selbst denkend und urteilend in der Welt aktiv werden, machen sie Politik. Manche gehen diesen Weg innerhalb der Institutionen – und werden zum Beispiel Gleichstellungsbeauftragte. Andere gehen diesen Weg außerhalb der Institutionen. Und beides ist gut, solange es vom Begehren der jeweiligen Frau getragen ist.

Viele Frauen gehen den Weg ihres Begehrens aber eben auch nicht – trotz und vielleicht manchmal sogar wegen der Emanzipation. Es gibt Hausfrauen und Sekretärinnen, aber ebenso Politikerinnen und Managerinnen, die einfach nur funktionieren. Wir müssen heute leider beobachten, dass viele Frauen zwischen den Anforderungen der modernen Arbeitswelt und ihren privaten Lebenswelten, zwischen dem Druck der Schönheits- und Medienindustrie und ihrem eigenen Begehren, zwischen Emanzipationsansprüchen und der Sehnsucht nach Geborgenheit zerrissen und erschöpft werden. Der Grund dafür ist nicht ein Zuviel, sondern ein Zuwenig an weiblicher Freiheit. Es ist nämlich ein Zeichen dafür, dass Frauen trotz Emanzipation und Gleichstellung immer noch bestimmten Weiblichkeitsbildern und Stereotypen nacheifern, und manche dieser Stereotypen sind sogar vom Emanzipationismus erst neu geschaffen worden.

Frauen sind eben keine steuerbare Masse. Frauen sind handelnde Personen, freie Menschen. Was mich bei den gegenwärtigen politischen Debatten immer zum Lachen bringt ist, wenn von »den Frauen« so geredet wird, als seien sie eine Horde Lemminge, die dahin rennen, wo alle hinrennen. So als müsste man nur ein bisschen Erziehungsgeld erhöhen, und dann kriegen sie Kinder, oder als müsste man ein bisschen Emanzipation unterrichten, und dann ziehen sie ihre Kopftücher aus. Wir haben uns viel zu sehr angewöhnt, alles mit soziologischen oder, schlimmer noch, statistischen Blickwinkeln anzuschauen und dabei die Frauen als handelnde Subjekte mit jeweils eigenen Wünschen, Hoffnungen, Illusionen und Visionen, mit ihren Ängsten und ihrer Entschlossenheit, mit ihren Entscheidungen und ihrer Hingabe, mit ihrer Klugheit und mit ihren Irrtümern aus den Augen verloren.

Aber alle, die sich mit ihren Appellen oder Gesetzen oder Vorwürfen »die Frauen« im Blick haben, irren sich. »Die Frauen« gibt es nicht. Es gibt nur mich und dich, diese und jene Frau.

Und das, was wir in diese Gesellschaft an Positivem einzubringen haben, lässt sich nicht über einen Kamm scheren. Deshalb habe ich – und damit komme ich zum Schluss – auch einen konkreten Vorschlag: Ich bin der Meinung, dass Frauen sich häufiger öffentlich streiten sollten. Oder noch besser: Dass Feministinnen sich häufiger öffentlich streiten sollten. Dass wir uns also ganz konkret und praktisch von der Idee trennen, es gebe eine einheitliche »Frauenmeinung« oder einheitliche »Fraueninteressen«. Die gibt es nicht. Dass wir vielmehr eine Kultur des Konflikts erfinden, die nicht kriegerisch ist wie die der Männer, und die auch nicht nach höheren Instanzen ruft wie Gott oder dem Verfassungsgericht. Dass wir im Gegenteil in der Unterschiedlichkeit und der Differenz, in der Pluralität der Menschen also, die eben auch eine Pluralität der Frauen ist, dass wir also in dieser Differenz nicht eine Gefahr sehen, sondern eine Ressource, die Grundlage des Politischen schlechthin. Das ist übrigens auch keine neue Idee. Hannah Arendt, für mich eine der wichtigsten Denkerinnen des 20. Jahrhunderts, hat es schon vor Jahrzehnten so geschrieben.

Ich stelle mir vor, dass Gleichstellungsstellen und Frauenreferate Orte sind, die solche öffentlich bedeutsamen Konflikte unter Frauen initiieren und moderieren. Die Räume und Gelegenheiten schaffen, wo wir uns über unterschiedliche Auffassungen auseinandersetzen können, ohne dabei der anderen ihren Feminismus oder gar ihr Frausein abzusprechen, wie es leider so häufig geschieht. »Sie verrät die Sache der Frauen« oder »sie verhält sich ja wie ein Mann« – das sind schon immer Totschlagargumente gegen Frauen gewesen, die aus vorgegebenen Rollenmustern ausbrachen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin nicht für Relativismus, also dafür, dass jede ihre Meinung hat und wir alles gleichgültig nebeneinander stehen lassen. Im Gegenteil. Wir müssen uns streiten über das, was wir für richtig und für falsch halten. Aber dieser Streit ist nicht ein Problem für den Feminismus, sondern er ist im Gegenteil gute feministische Praxis, weil wir in diesem Streit unsere eigene Freiheit, die Freiheit der Frauen, sichtbar machen und vergrößern: Denn nur im Austausch mit dem Anderen, mit dem, was mich herausfordert, was mir fremd ist, was mir neu ist, liegt ja die Chance dafür, dass ich meine eigene Meinung überdenken und mich vielleicht verändern kann. Und diese Chance, mich selbst zu verändern, neue Einsichten zu gewinnen, die brauche ich, um auf dem Weg meines Begehrens voran zu kommen – um es rote Rosen regnen zu lassen. Sie ist ebenso wichtig oder vielleicht sogar noch wichtiger als die Möglichkeit, dass ich andere von meinen Ideen überzeuge.

Dies wäre im übrigen auch ein anderes Verständnis von Politik, eine Politik des nicht kriegerischen Konflikts, eine politische Praxis, die Frauen in Wirklichkeit schon lange pflegen, die aber noch viel zu wenig öffentlich sichtbar wirksam wird. Eine Politik der Frauen, zu der wir aber natürlich auch die Männer einladen. Eine Politik, die von echtem Begehren und Engagement getragen wird und nicht von instrumentellen Absichten und vorgefertigten Positionen und Standpunkten.

Vor allem aber liegt in diesem Konflikt unter Frauen die Chance, dass wir zu Lösungen und Wegen finden, die ein gutes Leben für alle Menschen auf dieser Erde und für die folgenden Generationen ermöglichen.Und dafür lohnt es sich nach wie vor zu kämpfen und zu streiten, zu experimentieren und sich zu engagieren. Nach der Emanzipation ebenso wie vor ihr.

Vortrag in Straubing, 26.9.2006 und Rödermark, 27.9.2006