Antje Schrupp im Netz

Der Heilige Geist in der Hanauer Turnhalle

Afrikanische Gemeinden im Rhein-Main-Gebiet

»Halleluja« schmettert Pastor Tshoni Jean Ilunga in den Raum, »Amen« antwortet die Gemeinde, und nach zwei Sätzen wieder »Halleluja«, »Amen«. Die Predigt, die von diesen Zwischenrufen unterbrochen wird, ist schlicht und eingängig: Wir sollen uns von jeder Sünde fernhalten, von Ehebruch und Prostitution, von Alkoholismus und Drogensucht, Halleluja und Amen. Aber wir sollen auch überlegen, wie man dem Mann aus Zaire, der in Deutschland politisches Asyl sucht und seit Tagen im Transitbereich des Frankfurter Flughafens festgehalten wird, helfen kann, Halleluja und Amen. Die Gemeinde ist klein, nur etwa 15 Personen haben sich in der kleinen Kapelle im Frankfurter Westend versammelt, aber wenn sie ein Lied anstimmen oder Gebete sprechen, dann klingt es lauter und kräftiger als in einem vollbesetzten deutschen Gottesdienst

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Daß Pastor Ilungas »Ökumenische Afrikanische Gemeinde« schrumpft, stört ihn nicht – ist es doch ein Zeichen dafür, daß die Bewegung der afrikanischen Gemeinden in Deutschland insgesamt am Wachsen ist: Seit immer mehr afrikanische Kirchen aus verschiedenen Ländern hier eigene Gemeinden gründen, hat sich die ehedem auf Initiative der evangelischen Landeskirche gegründete »allafrikanische« Gemeinde von einer Gottesdienstgemeinschaft eher zu einem Dachverband gewandelt, der die Anliegen der afrikanischen Christinnen und Christen nach außen vertritt, statt ihnen spirituelle Heimat zu sein. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Menschen aus Zaire und Nigeria, aus Ghana und Angola gemeinsam ihre Gottesdienste in englisch, französisch und portugiesisch radebrechen mußten. Mindestens acht verschiedene afrikanische Gemeinden gibt es inzwischen allein im Großraum Frankfurt, man hat die Auswahl, kann Gemeinden des eigenen Landes und der persönlichen Glaubenspraxis gezielt aufsuchen. Flexibel und unabhängig sind die Gemeinden, finanzieren sich ausschließlich aus Spenden, ihre Pastoren arbeiten ehrenamtlich.

Rund zehntausend Afrikanerinnen und Afrikaner aus Ländern südlich der Sahara leben inzwischen im Rhein-Main-Gebiet. Während afrikanische Musik, afrikanisches Essen und afrikanische Mode sich aber längst einen Platz in der deutschen Gesellschaft erobert haben, bleiben die afrikanischen Gemeindne noch weitgehend unbemerkt, auch von den offiziellen Großkirchen. Manchmal gibt es Kooperationen, etwa indem sie Gemeinderäume mitbenutzen oder an gemeinsamen Festen teilnehmen, doch im wesentlichen sind die neuen Gemeinden unabhängig und unbeachtet. Häufig haben die etablierten Kirchen noch einen diakonischen, caritativen Impuls: Sind doch die afrikanischen Gemeindemitglieder meistens Flüchtlinge oder Studierende, die Hilfe brauchen. Weniger gern nimmt man zur Kenntnis, daß sie den deutschen Christinnen und Christen hinsichtlich der Lebendigkeit ihres Gemeindelebens, ihrer spirituellen »power« einiges voraus haben.

Wenn Pastor Ilunga von seinem Glauben spricht, ereifert er sich. Vor allem über die Langeweile, die er in deutschen Kirchen beobachtet: »Hier ist alles so langsam und leise, das ist nicht richtig«, erklärt er. Deutsche Pfarrer hätten keine Ausstrahlung und erinnerten zuweilen an Bürokraten, sagt Ilunga, der selbst als Flüchtling nach Deutschland kam und seinen Lebensunterhalt dadurch bestreitet, daß er in einer Fleischfabrik jobbt. Pastor sein, das ist kein Job, sondern eine Berufung, der Gottesdienst keine Pflichtübung, sondern Höhepunkt der Woche, sagt er, und seine Stimme überschlägt sich fast dabei, »wir müssen aus der Kraft des Heiligen Geistes sprechen, mit Kraft, mit unserem Körper müssen wir Gott loben, tanzen, laut singen, laut trommeln, laut predigen, so ist unsere Tradition mit Gott und Jesus Christus«.

Es ist aber nicht nur die kulturelle Tradition, die »afrikanische Mentalität«, um die es hier geht. Es ist auch eine neue Theologie, die sich hier Bahn bricht, und die im Staunen über die bunten Kleider, das würzige Essen und die lauten Trommeln leicht übersehen wird: In diesem Jahrhundert sind in vielen afrikanischen Ländern unabhängige Kirchen entstanden, die sich von den traditionellen methodistischen, baptistischen, anglikanischen oder katholischen Missionsgemeinden losgesagt haben. Sie glauben an die unmittelbare Wirkkraft des Heiligen Geistes, für sie gilt keine irgendwie festgelegte kirchliche Dogmatik. Alle Gemeindemitglieder sind potentielle Prophetinnen und Propheten – was zählt ist allein ihr persönliches Engagement und ihre Glaubwürdigkeit in der Gruppe.

Pastor Stephen Adeniyi von der »Celestial Church of Christ« hat 1994 in Frankfurt eine Gemeinde seiner Kirche gegründet. Die Celestial Church wurde 1947 in Benim gegründet, hat heute ihren Hauptsitz in Nigeria, und zählt nach eigenen Angaben weltweit 7,5 Millionen Mitglieder. Pastor Adeniyi hat im Frankfurter Dritte-Welt-Haus ein winziges Büro, ausgestattet mit Matratze, Schreibtisch und Kühlschrank, in dem er auch teilweise lebt. Seinen Lebensunterhalt bestreitet er aus den Erträgen früherer wissenschaftlicher Veröffentlichungen und durch zeitweiliges Jobben in einem Kaufhaus. Ein zweites Zimmer dient als Gottesdienstraum, der – nach deutschen Maßstäben – eine recht kitschige Atmosphäre ausstrahlt: Es gibt eine kleine Bühne für die Band, Bilder mit naturalistischen Jesus-Darstellungen schmücken die Wände, alles schimmert gold und silbrig glänzend. Sonntags beim mehrstündigen Gottesdienst platzt der Raum aus den Nähten, Musik und Gebete produzieren einen ohrenbetäubenden Lärm. »Den Geist Gottes kann niemand beeinflussen«, erklärt Pastor Adeniyi die Theologie seiner Kirche, »Gott gibt die Erkenntnis denjenigen, die bereit sind, seinen Geist in Empfang zu nehmen«. Während des Gottesdienstes, so erklärt er, kommt der Heilige Geist herab und spricht durch die Leute, die dazu bereit sind.

Als sogenannte »white garment churches«, Kirchen der weißen Gewänder, bilden die unabhängigen Kirchen in afrikanischen Ländern wie Nigeria bereits eine eigene Kategorie in der Statistik. Mit den traditionellen katholischen und protestantischen Kirchen sind sie längst gleichauf, und sie wachsen ständig weiter. Ihr Erfolg gibt ihnen Selbstbewußtsein, auf die Herablassung, die ihnen von den offiziellen Sachwaltern der rechten christlichen Lehre häufig entgegengebracht wird, reagieren sie gelassen. Pastor Adeniyi hat keine Probleme, zuzugeben, daß er durchaus bewußt magische, naturreligiöse Elemente in seine Gottesdienste einbezieht: »Die Afrikaner haben zwei Möglichkeiten: Entweder geht man zum Medizinmann oder zur Kirche. Jetzt, wo unsere Kirchen wachsen, geht der Einfluß der Medizinmänner zurück, weil man Gott auch durch den Propheten etwas fragen kann«.

Generell gilt die Faustregel: Je unabhängiger und charismatischer, je weiter entfernt in Auftreten und Theologie von den alten Missionskirchen, desto schneller wächst die Gemeinde. In Nigeria zum Beispiel ist die Celestial Church of Christ in nur zwanzig Jahren zur größten Kirche des Landes geworden und hat inzwischen nicht nur die etablierten, sondern auch eine ältere unabhängige Kirche, die »Aladura Church of the Lord«, überholt. Auch die Aladura-Kirche hat eine Gemeinde im Rhein-Main-Gebiet, in Langen. Ihr Pfarrer, der Computerfachmann Rufus Ositelu, ist jedoch auf diesen Erfolg keineswegs eifersüchtig: »Das ist eben die Tradition der Leute«, sagt er, »die Celestial Church übernimmt das System der Naturreligion. Und wir machen das eben nicht, wir beten nur zu Gott, wenn wir etwas wollen«.

Die afrikanischen Kirchen rechnen sich selbst meist zu den Pfingstlern, einer am Anfang des Jahrhunderts in Kanada und den USA entstandenen Glaubensbewegung, die sich seit den fünfziger Jahren weltweit mit rasanter Geschwindigkeit ausbreitet, vor allem in der Karibik, Lateinamerika und eben Afrika. Vor allem bei Kirchen, die von US-amerikanischen Missionaren in diesen Ländern gegründet wurden, wie etwa die »Evangelische Pfingstbruderschaft« in Kenia und Zaire, schlägt der Enthusiasmus des Glauben leicht ins Fanatische um. Die Prediger der »Evangelischen Pfingsbruderschaft«, deren deutsche Gemeinde sich in einer Hanauer Turnhalle trifft, behaupten, frommer Glaube allein könne Aids heilen – angesichts von 14 Millionen Aids-Infizierten in Afrika eine fatale Botschaft. Auch deutsche Missionare wie Reinhard Bonnke und sein Verein »Christus für alle Nationen«, hat in Afrika mit Massenevangelisationen vor hunderttausenden von Menschen, in denen er verspricht, nicht nur Aids und Beinbrüche, sondern auch Kinderlosigkeit und Homosexualität zu heilen, viel Schaden angerichtet.

Doch die afrikanischen Gemeinden verweigern sich einer Beurteilung der anderen. Pastor Ilunga besucht Gottesdienste der »Pfingstbruderschaft« genauso gern, wie die der moderaten Aladura-Kirche. Pastor Adeniyi findet Reinhard Bonnkes Kampagnen zwar unangebracht – »der soll doch lieber die Leute hier in Deutschland bekehren« – hat aber im Prinzip nichts dagegen. Es ist eben Gottes heiliger Geist, der wirkt, der Gemeinden zum Wachsen und zum Schrumpfen bringt. Neid auf den Erfolg der anderen gibt es nicht.

Dieser Artikel erschien 1996 in der Zeitung »Publik Forum«.